BrandSätze. Rassismus im Alltag
Vorbemerkung zur Internet-Ausgabe

Die vierte Auflage der „BrandSätze“ von 1996 ist vergriffen. Insgesamt hat das Buch eine außergewöhnlich hohe Auflage erlebt. Auch für die aktuelle Diskussion zum Thema Einwanderung und seiner Rezeption bei den Deutschen ist es weiterhin wichtig. Wir sind daher froh, diesen wichtigen Text nun auf die DISS-Homepage stellen zu können. Es handelt sich um eine gegenüber der vierten Auflage unveränderte Auflage, aus technischen Gründen aber mit einer veränderten Seitenzählung, die bei Zitierungen zu beachten ist.

Im Vorwort der 4. Auflage ist von einer Abnahme der Anschläge auf Menschen mit Migra-tionshintergrund etc. die Rede gewesen. Dieser kurzfristige Trend hat sich nicht fortgesetzt. Im Gegenteil: die „Ziel“- Gruppe ist eher ausgeweitet worden und betrifft zunehmend nun auch in Deutschland lebende Juden. Gleichzeitig hat die Einsicht in die wirtschaftliche Notwendigkeit, Experten aus fremden Ländern zur Aufrechterhaltung der Wettbewerbsfähigkeit nach Deutschland zu locken, der medialen und politischen Debatte eine neue Wendung gegeben: nützliche Einwanderer sollen erleichtert einwandern können; doch wie verfährt man mit denjenigen, die möglicherweise Kosten verursachen? Das läuft darauf hinaus, daß es ein recht restriktives Einwanderungsgesetz geben wird, dessen Schranken konservative Politiker im Befolgen einer „deutschen Leitkultur“ verortet sehen möchten, sprich: deutsche Kultur, deutsche Sprache, deutsche Denkungsart (was das auch immer im einzelnen sei) zu beherrschen, im Klartext: sich deutscher Kultur und „Identität“ (was immer das auch sei) zu unterwerfen.

Das kann man als politisch-gestrigen Unfug abtun; was man nicht abtun kann ist die Tatsache, daß bei allem Gerede von einer Öffnung ein institutioneller und struktureller Rassismus weiter reproduziert wird. Solange auf dieser Ebene nicht wirklich etwas geschieht, werden die in „Brandsätze“ ermittelten Befunde Bestand haben.

Zu dem im folgenden wieder abgedruckten Vorwort zur 4. Auflage ist korrigierend zu bemerken, daß die Paralleluntersuchungen von Margret Jäger und Gabriele Clevre inzwischen erschienen sind. Dazu verweise ich auf die auf dieser Homepage wiedergegebenen Literaturverzeichnisse.

 

Siegfried Jäger November 2000.

 

Eskalation statt De-Eskalation

Vorwort zur 4. Auflage

Die Analyse der Verstricktheit deutscher Bürgerinnen und Bürger in rassi­stische Diskurse, die 1991/1992 durchgeführt wurde, hat nicht an Aktualität verloren. Deshalb ist es erforderlich, eine 4. Auflage dieses Buches heraus­zugeben. Sie ist gegenüber der zweiten, durchgesehenen Auflage vom Ok­tober 1992 unverändert.

Zwar hat die Anzahl der Brandanschläge auf Personen, die nicht-deutscher Herkunft sind oder von deutscher Normalität in Aussehen, Sitten und Ge­bräuchen abweichen, abgenommen, die Zahl der Überfälle und sonstiger Straftaten ist jedoch weiterhin erschreckend hoch. Daran hat, wie zu er­warten war, auch die faktische Abschaffung des Asylartikels des Grundge­setzes der Bundesrepublik Deutschland vom 26. Mai 1993 nichts geändert: Sie hat nur dazu beigetragen, daß viele der hier lebenden Ausländer schär­fer diskriminiert, verfolgt und kriminalisiert werden, in die Illegalität ge­trieben, in Abschiebehaft genommen, in Nacht- und Nebelaktionen abge­schoben werden usw. Deutschland schottet sich immer stärker gegen Ein­wanderung ab. Dazu schafft es sich Gesetze und Verfahrensregeln, die po­tentielle Einwanderer abschrecken sollen und solche, die hier leben, zu mehr oder minder starker Assimilation zwingen.

Zugleich hat sich die Stimmung in der Bevölkerung, die wir in unseren dis­kursanalytischen Untersuchungen erfaßt haben, nicht grundlegend geän­dert. Wie sollte sie auch? Parallel zur Abschreckungspolitik in Bund und Ländern zeichnen die meisten Medien unverändert das Bild eines Landes, das nicht in der Lage ist, Einwanderer aufzunehmen, ohne den Wohlstand und die Sicherheit seiner Bürger zu gefährden. Statt sich darum zu bemü­hen, mit Einwanderung verbundene Schwierigkeiten durch politische und soziale Integration abzumildern, wird weiterhin eine Politik betrieben, die diese Schwierigkeiten verschärft: Eskalation statt De-Eskalation.

Im Rahmen des DISS sind inzwischen weitere Interviews durchgeführt worden (1993 und 1995), die die Einschätzung bestätigen, daß Rassismus weiterhin an Boden gewinnt. Es zeigt sich: auch nach Mölln und Solingen ist die deutsche Bevölkerung weiter zutiefst in den rassistischen Diskurs verstrickt.[1] Zwar haben sich die Negativhaltungen gegenüber Bürgerinnen und Bürgern der ehemaligen DDR, die 1992 noch sehr verbreitet waren, abgeschwächt; dafür machen sich aber stärkere nationalistische und völ­kische Einstellungen bemerkbar.

Untersuchungen der Medien und der Politikerrede über Einwanderer und Flüchtlinge legen nahe, daß diese eine der Hauptursachen dafür darstellen, daß rassistische Diskurselemente des Alltags sich in den letzten drei Jahren stärker der Argumentation bedienen, daß in Deutschland die innere Si­cherheit durch Ausländer gefährdet sei. Daneben stehen weiterhin Kosten­argumente im Vordergrund.

Das angewandte Verfahren einer auf Grundgedanken von Michel Foucault beruhenden Diskursanalyse (nicht zu verwechseln mit der stärker sprach­wissenschaftlich ausgerichteten Gesprächsanalyse) hat sich inzwischen in einer Reihe weiterer Untersuchungen bewährt, so etwa in einer Analyse der Debatten über Asyl im Deutschen Bundestag, die demnächst erschei­nen wird.[2] Wichtige Erfahrungen aus dem Projekt sind in eine Einführung in die kritische Diskursanalyse eingegangen, die ich 1993 veröffentlichen konnte.

Trotz der Verbreitung, die "BrandSätze" inzwischen erfahren hat, sind Re­zensionen des Buches bisher nahezu ausgeblieben. Weder die großen Zei­tungen noch die Sprachwissenschaft haben das Buch zur Kenntnis ge­bracht. Die Ergebnisse waren möglicherweise zu unangenehm oder - für die Sprachwissenschaft - "zu politisch". Daß es Rassismus gibt, daß er sehr ver­breitet ist, daß er auch mit Handlungsbereitschaften verbunden ist, das ist wohl eine "Wahrheit", die man lieber unter der Decke halten möchte. Denn "wir", die Deutschen, wir sind, wie auch der Bundeskanzler selbst nach den vielen Brandanschlägen trotzig verkündete, doch kein ausländerfeindliches Volk!

Eine für mich sehr wichtige Ausnahme bildet die von Jürgen Link heraus­gegebene Zeitschrift kultuRRevolution, in der die folgende Einschätzung zu lesen war: Die Analyse "dieses hochinteressanten Materials (erlaubt) nicht nur differenzierte Vorschläge zum Gebrauch der Begriffe >rassistisch<, >Rassismus<, sondern auch >diskurstaktische< Anregungen." Die Untersu­chungen stellen einen "substanziellen Beitrag ... für die Kollektivsymbol­analyse (dar) ..., indem sie exemplarisch den Durchlauf der Symbole durch jenen ungemein wichtigen Sektor des diskursiven Kreislaufs untersuchen, den man >Alltagsdiskurs< nennt." kRR 28 (1992, S. 86)

Das hiermit in der 4. Auflage vorgelegte Buch "BrandSätze. Rassismus im Alltag" ist heute, 1995, weiterhin aktuell. Die erste Auflage erschien im Mai 1992. Im Oktober des gleichen Jahres wurde eine zweite Auflage erforder­lich, 1993 folgte die 3. Auflage.

Ich hoffe, daß die diskurstaktischen Anregungen des Buches weiter aufge­nommen werden und die Einsicht verstärkt wird, daß Rassismus kein Pro­blem irgendwelcher Randgruppen ist, sondern in der Mitte unseres Alltags angesiedelt ist. Denn vor allem dies ist der Ort, an dem er wirkungsvoll zu­rückgewiesen werden kann.

Siegfried Jäger

Duisburg, im Mai 1995

 

 

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Stand: 25. September 2006

 



[1]          Margret Jäger hat weitere 15 Interviews im Rahmen einer Dissertation ausgewer­tet, die voraussichtlich Anfang 1996 erscheinen wird. Eine weitere Serie von 12 In­terviews ist von Gabi Cleve 1995 erhoben worden. Die Auswertung ist im Gange.

[2]          Vgl. Frank Wichert: Das Grundrecht auf Asyl. Eine diskursanalytische Untersu­chung der Debatten im Deutschen Bundestag, MA Arbeit Duisburg 1995