1.     Einleitung

1.1         Motivation

Der Bericht des Europaparlaments über Rassismus und Fremdenfeindlich­keit in Europa vom Juli 1990 konstatierte für die Bundesrepublik Deutsch­land be­reits ein beängstigendes Ausmaß an rassistischem und fremden­feindlichem Denken und Handeln in der Bevölkerung[1] und bedauerte zu­gleich, daß es im Unterschied zu den anderen europäischen Ländern für die Bun­des­republik bis­her so gut wie keine wissen­schaft­li­chen Untersuchungen über Verbreitung, Ge­stalt und Ver­brei­tungs­strategien solcher Einstellun­gen gebe.

Die Dringlichkeit solcher Untersuchungen wurde nicht zuletzt durch die ras­si­stisch motivierten Angriffe und Überfälle seit dem Sommer 1991 un­terstri­chen. Der in der Bevölkerung äußerst verbreitete, wenn auch meist eher ver­deckte Rassismus eskalierte in einer erschreckenden Anzahl von Angriffen auf offener Straße und Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte mit vielen hundert Verletz­ten und einer Reihe von Toten[2], ohne daß die Po­litiker und die Öffentlichkeit sich ein klares Bild über die Ursachen und Hintergründe dieser Eskalation machen konnten (oder wollten), was ja ein erster Ansatzpunkt für wirkungsvolle Ge­genmaßnahmen hätte sein können.

Obwohl Rassismus im Nachkriegs-Deutschland nun in der Tat kein neues Phä­nomen darstellt - er hat immer wieder seine Konjunkturen erlebt - , ist der Grad der derzeitigen Eskalation von neuer und von anderer Qualität als die bisher zu beobachtenden rassistisch motivierten Verhaltensweisen und Taten deutscher Bürgerinnen und Bürger. Manche Politiker und insbeson­dere viele Menschen aus anderen Ländern fühlen sich an die Endphase der Weimarer Republik erin­nert und befürchten das Aufbrechen eines neuen deutschen Fa­schismus. Auch reicht es für uns Deutsche nicht hin, darauf zu verweisen, daß Rassismus kein allein deutsches Phänomen sei, sondern in allen europäischen Ländern grassiere. In der Tat gibt es auch in England, Frankreich, den Nieder­landen, Belgien, der Schweiz etc. Rassismus, doch er äußert sich dort nicht in gleichem Umfang und nicht mit der gleichen Bru­talität. Das hat zum einen seine Gründe in der anderen Geschichte dieser Länder, in der Notwendigkeit dieser Länder, das Ende des Ko­lonialismus zu verarbeiten, und zum anderen, und daraus resultierend, aber auch in einer moderateren Ausländerpolitik, die in viel größerem Grade Einwande­rInnen die Möglichkeit zu politischer Betei­ligung, z.B. durch Staatsbürgerschaft und Wahlrecht, einräumt. Das erleich­tert die Entfaltung demokratischer Ge­genbewegung gegen Rassismus und nimmt diesem die bei uns zu beob­achtende Schärfe.

Die Eskalation in Deutschland war lange vorhersehbar. Bereits vor den Bun­des­tagswahlen im Jahre 1987 brannten Flüchtlingsunterkünfte, und lange vor Saarlouis, Hoyerswerda und Hünxe wurden ausländische Men­schen von deut­schen Rassisten verfolgt, verletzt und in den Tod gehetzt bzw. ermordet. Die Be­gleitmusik dazu wurde von einer langanhaltenden öf­fentlichen Diskus­sion in Politik und Massenmedien über ein neues Auslän­dergesetz gespielt. Administra­tive Maßnahmen gegen Ausländer trugen dazu bei, die Einwan­derInnen als Be­drohung für Land und Geldbeutel er­scheinen zu lassen. Ich nenne hier nur die Beschlüsse des Bundestages von 1982, in denen den Flücht­lingen Sammelunter­künfte verordnet und ein Recht auf Arbeit abgesprochen wurde.[3] Dies trug er­heblich mit dazu bei, die Asylbewerber als „bedrohliche Fluten“ und „arbeitsscheues Gesindel, das auf unsere Kosten lebt“, imaginieren zu können. Diese Maßnahmen sind nicht wirklich revidiert worden, auch wenn das Arbeits­verbot vor kurzem aufgehoben worden ist. De facto werden Flüchtlinge weiter vom Arbeits­markt ausgeschlossen. Sie erhalten erst dann einen Job, wenn absolut keine Deutschen mehr zu finden sind, die für eine be­stimmte, meist schlecht be­zahlte und schwere Arbeit in Frage kämen.

Im Verlaufe dieser Jahre konnten sich rechtsextreme Parteien den latenten und angestachelten Rassismus in der Bevölkerung zunutze machen. In den Jahren 1987 bis 1989 erzielten sie erhebliche Wahlerfolge bei fast allen Wahlen in der BRD. Diese Entwicklung ist nur zeitweilig durch den Ab­bruch der Berli­ner Mauer und „den nationalen Blick auf die Mauer“ bzw. die weit verbreitete „nationale Besoffenheit“ überdeckt worden. Sie bricht heute wieder hervor, wobei die in den Ländern der ehemaligen DDR ver­schärfte soziale Situation und die damit einhergehende Angst der West­deutschen davor, teilen zu müs­sen, er­schwerend hinzukommen.

Insbesondere aus den Ländern des zerfallen(d)en real-existierenden Sozia­lis­mus suchen zunehmend Menschen Zugang zu den westlichen Ländern, in denen sie sich politisches und wirtschaftliches Überleben erhoffen. In Ver­bin­dung damit aufflackernde Bürgerkriege (nicht nur) in Jugoslawien ver­grö­ßerten die Zahl derer, die, um Leib und Leben bangend, bei „uns“ um po­litisches Asyl ersuchten. Hinzu kommen viele, die sich auf ihr ehemaliges Deutschsein oder das ihrer Vorfahren berufen und ihren Rechtsanspruch auf Aus- und Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland (§ 116 GG) zu realisieren versuchen. Zuwanderun­gen aus den südlichen Regionen spie­len demgegen­über (noch immer) eine nur marginale Rolle.[4]

Diese Entwicklung, die ich hier nur anreißen möchte[5], hat in Deutschland dazu geführt, daß eine langanhaltende Debatte über die Änderung des grund­gesetzlich garantierten Rechts auf politisches Asyl mit dem Ziel der Abschaf­fung oder Än­derung des § 16 des Grundgesetzes ausgelöst wurde, die faktisch bereits zu einer Verschärfung der Ausländer- und Asylpolitik geführt hat. Diese Debatte ist über Politik und Medien derart an die Stammtische und an­dere Lieblings­treffpunkte der Deutschen herangetra­gen worden, daß Hand­lungsbereitschaften gegen EinwanderInnen provo­ziert wurden, die in einer Vielzahl von Fällen in Taten und Tätlichkeiten re­sultierten, für die dann „ein paar Verrückte“ oder auch „die Skins“ verant­wortlich gemacht wurden.[6]

Die Ursachen für das Ansteigen rassistischer Einstellungen bis hin zum Aus­bruch rassistischer Gewalttaten sind sicherlich vielfältiger Natur, und sie sind auf den unterschiedlichsten wissenschaftlichen und politischen Ebenen zu the­matisieren. Ihre Analyse hat zugleich historische, ökonomi­sche, politische, ideo­logische, soziale und psychische Dimensionen zu beach­ten und kann nicht aus der Perspektive nur eines oder einiger weniger die­ser Ansätze her befrie­digend vorgenommen werden.

 

 

 

 

 

1.2         Eine primär qualitative Analyse ist nötig

Die hier vorgelegte Studie versucht diesem interdisziplinären Anspruch Rech­nung zu tragen, ohne daß ich behaupten wollte, diesen Anspruch be­reits einlö­sen zu können.[7] Die hier vorgelegte Untersuchung versteht sich aber durch­aus als eine Studie, deren Resultate einschließlich der dabei ge­wonnen Erfah­rungen die Basis für ein Projekt auf einer verbreiteteren Ma­terialbasis abge­ben könnten. Sie trägt keineswegs den Charakter einer (vorläufigen) Pilot-Studie, da das unter­suchte Material relativ umfangreich ist, die Interviews sozial breit gestreut sind und das Analyseverfahren und dessen theoretisches Konzept (Diskursanalysen von Tiefeninterviews) weit­gehend verallgemei­nernde Aussagen über Einstellun­gen und Haltungen, über bevorzugte The­men, Argumentationsstrategien, sprachliche Wir­kungs­mittel, über die Quel­len des rassistischen Alltagsdiskurses zulassen und darüber hinaus die Ursa­chen rassistisch motivierter Taten aufzu­dec­ken ge­eignet sind.[8]

Es ist mir im folgenden nicht darum zu tun, den Nachweis zu führen, daß und wie sehr Rassismus verbreitet ist[9], sondern in welcher Form, mit wel­chen In­hal­ten er auftritt und unter Zuhilfenahme welcher Strategien er „an der sozia­len Basis“ geäußert wird. Ich ziele also eine primär qualitative Ana­lyse an, die durch immanente quantitative Aspekte, wo es sinnvoll er­scheint, abgesichert wird. Ziel ist es zudem, in Auseinandersetzung mit der internationalen Ras­sismus-Diskus­sion den Ursachen rassistischer Einstel­lungen in der Bevölke­rung näherzu­kommen und damit möglicherweise einen Beitrag zu Konzepten antirassisti­scher und interkultureller Erzie­hung und Politik zu erbringen.[10]

Im Unterschied zu den gängigen wissenschaftlichen Gepflogenheiten wurde nach Abschluß der empirischen Erhebungs-Phase dieses Projektes ein Ma­te­rial­band mit den durchgeführten 22 Interviews veröffentlicht, der auch wei­terhin im Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung bezogen wer­den kann.[11] Diese Vorveröffentlichung wurde deshalb vorgenommen, weil ich meine, daß so die Aufmerksamkeit besser auf den untersuchten Ge­gen­stand gelenkt werden kann, der Gegenstand also ernst genommen wer­den kann in dem Sinne, daß jede(r) LeserIn der Veröffentlichung der Analy­sen bzw. der Gesamtanalyse sich selbst eine Vorstellung davon machen kann, ob im All­tagsdiskurs rassistisches Denken vorkommt, in welcher Ge­stalt dies der Fall ist usw.

Zudem bin ich der Meinung, daß bereits die Lektüre der Interviews selbst in­ter­essant und anregend ist, weil hier eine Art Lesebuch zum Alltagsden­ken, selbst­verständlich im wesentlichen zu einem bestimmten Ausschnitt daraus: Was meinen „wir“ zur Anwesenheit „fremder“ Menschen in „unse­rem“ Land?, vor­liegt.[12]

Selbstverständlich sind nicht alle der von uns befragten Menschen durch­weg als Rassisten zu bezeichnen. Es zeigte sich, daß der „Grad“ der Ver­stricktheit in den rassistischen Diskurs sehr unterschiedlich sein kann.

Vielleicht wird sich manche(r) LeserIn auch fragen, ob man in einigen die­ser Interviews überhaupt von Rassismus sprechen könne. Bei genauerem Hinse­hen zeigt sich, daß Rassismus vielfach nicht offen zugegeben wird, daß die Menschen teilweise subtile Strategien verwenden, um ihre rassistischen Ein­stellungen zu beschönigen bzw. um trotz ihrer rassistischen Einstellun­gen beim/bei der Ge­sprächspartnerIn einen positiven Eindruck zu erwecken etc.

Auch tritt der Rassismus heute nicht mehr immer so grobschlächtig auf, wie dies früher meist der Fall gewesen ist, wo insbesondere oder auch ganz al­lein biolo­gisch-genetisch verankerte oder als biologisch-genetische veran­kert un­terstellte Eigenschaften Anlaß zur Ablehnung und Verfolgung ande­rer Men­schen waren. Zur Erleichterung der Lektüre (und zur Schärfung der Auf­merksamkeit) möchte ich daher auch zunächst knapp erläutern, was un­ter Rassismus zu ver­stehen ist und was es mit dem Wort „Rasse“ auf sich hat.

 

 

1.3         „Rasse“ und Rassismus

Unsere Interviews (unser „Gegenstand“) sind natürlich nicht zufällig zu­stan­de­gekommen, sondern nach einem bestimmten „Entwurf“. Sie sind also nicht ein­fach ein Stück „Realität“, das wir sozusagen im Vorübergehen „erhascht“ hätten, sondern sie sind sehr gezielt und nach langen Diskussio­nen „im Vor­feld“ und nach intensiver Auseinandersetzung mit der interna­tionalen Ras­sismusfor­schung entstanden. Nach Sichtung und Diskussion der Literatur zum Problem „Rasse“[13], Rassismus, Ausländerfeindlichkeit[14] etc. und insbe­sondere auch nach ausgiebiger Beschäftigung mit den empiri­schen Untersu­chungen Teun A. van Dijks[15], die dieser für die Niederlande, die USA und Großbritannien durchge­führt hatte, und auf der Grundlage ei­gener theoreti­scher und empirischer Un­tersuchungen[16] kamen wir zu ei­nem relativ „weiten“ Rassismusbegriff, wie er ähnlich auch in den Arbeiten von R. Barthes, A. Memmi, Stuart Hall, Etienne Balibar, Robert Miles, Phil­ipp Cohen, Annita Kalpaka/Nora Räthzel, Jürgen Link, Rudolf Lei­precht, Georg Auernheimer u.a. anzutreffen ist.[17]

Bei allen Unterschieden im Detail kann unter Rassismus auf diesem Hin­ter­grund eine Einstellung verstanden werden, die genetisch bedingte oder/ und kulturell bedingte Unterschiede, die man bei Angehörigen von Minder­heiten feststellen kann oder feststellen zu können glaubt, i.R. negativ (gelegentlich auch positiv)[18] bewertet und daß diese Bewertung aus der Po­sition der Macht heraus geschieht, die sich i.R. bereits durch die Mehrheits­zugehörig­keit er­gibt.[19] Den Aspekt der Macht betonend, formu­lieren etwa Annita Kal­paka/Nora Räthzel m.E. sehr differenziert: „Diesen Prozeß, in dem (wirk­liche oder behauptete) kör­perliche Merkmale mit sozialen Verhal­tens­weisen ver­knüpft und letztere so als natürliches Resultat der Abstam­mung erscheinen, nennen wir mit Miles (1989, S. 356) Rassenkonstruk­tion.[20] Die Verbindung sozialer Merkmale mit körperli­chen Merkmalen fe­stigt die Vor­stellung, bei der sozialen Konstruktion von »Rasse« handele es sich um die Beschreibung »natürlicher«, angeborener Eigen­schaften. In der Wahrneh­mung werden äu­ßere Merkmale mit den zugeschrie­benen Eigen­schaften verschmolzen, so daß Hautfarbe, Körperbau o.ä. zum »Ausdruck« des »inne­ren« Charakters werden, der damit ebenfalls als biologisch deter­mi­niert ge­dacht wird.

Wird eine so als »Rasse« konstruierte Gruppe gegenüber der eigenen als min­derwertig eingestuft und führt diese Auffassung zur Ausgrenzung und Margi­nalisierung dieser Gruppe, handelt es sich um Rassismus. Rassismus ist also un­serer Auffassung nach mit Macht verknüpft. Nur wenn die Gruppe, die eine an­dere als minderwertige »Rasse« konstruiert, auch die Macht hat, diese Kon­struktion durchzusetzen, kann von Rassismus gespro­chen werden. Das heißt, wenn eine untergeordnete Gruppe eine übergeord­nete Gruppe als Rasse kon­stru­iert, dann ist das zwar schädlich für die Handlungsfähigkeit dieser unter­geord­neten Gruppe sowie für die Perspek­tive einer selbstbestimmten Gesell­schaft, kann aber nicht als rassistisch be­zeichnet werden, solange sie nicht die Macht hat, ihre Definition und die damit einhergehenden Ausgrenzungspra­xen gegen die übergeordnete Gruppe durchzusetzen. (Das bedeutet nicht, daß vom Rassis­mus Betroffene nicht gegenüber anderen, ihnen wiederum unter­geordneten Gruppen, rassi­stisch sein können. Ebensowenig bedeutet es, daß einzelne Indivi­duen einer vom Rassismus betroffenen Gruppe nicht einzelne Individuen einer Rassis­mus ausübenden Gruppe unterdrücken können, zum Beispiel im Kontext von Geschlechterverhältnissen. Rassismus ist für uns ein gesellschaftliches Macht- und Herrschaftsverhältnis, das zwar von den Indi­viduen getragen und gestützt wird, aber nicht im Verhalten einzelner Indivi­duen aufgeht.)“ (ebd. S. 14 und ebd. Anm. 1, S.14)[21]

 

 

1.4         Rassismus als soziales Konzept

Wichtig ist, und das sage ich auch unter Berufung auf das Konzept Teun A. van Dijks, daß rassistische Einstellungen nicht in erster Linie ein individu­elles Pro­blem darstellen, weil die (z.B. mehr oder minder stark rassistisch eingestell­ten) Individuen gewisse soziale Schemata in Gestalt von festen Scripts, Frames, be­stimmte sozial allgemeine narrative Strukturen und Ar­gumentationsstra­tegien verwenden, die (z.B.) die Einwanderer als ganze Gruppe und alle Ange­hörigen dieser Gruppe(n) i.R. als Störfaktor, „Skan­dal“ (Barthes, 1964 S. 142) oder Schlimmeres fixieren[22]. Van Dijk be­tont, „that such cognitions are inhe­rently so­cial, both in their acquisition and use and in their categorial structu­res.“ (van Dijk 1987, S. 194)

Die bei den Individuen zu beobachtenden Einstellungen gehen zudem in der Re­gel mit Handlungsbereitschaften einher, die unter bestimmten Bedin­gun­gen es­kalieren können, z.B. in Krisen aller Art (Sozialabbau, wachsende Ar­beitslosigkeit, Wohnungsnot, bei plötzlichen massenhaften Zuwanderun­gen usw.) oder bei be­sonderen diskursiven Anstrengungen (von Teilen) der Me­dien.[23] Solche Einstel­lungen und Handlungsbereitschaften entstehen nicht al­lein aus der individuellen gedanklich-emotionalen Verarbeitung der Le­benspraxen, sondern auch da­durch, daß die Individuen in den (sozialen) In­terdiskurs verstrickt sind, der sich primär aus den verschiedensten Spe­zial­dis­kursen speist wie dem Mediendiskurs, dem Erziehungsdiskurs, dem Dis­kurs der Politik etc. etc.

Zu bedenken ist ferner, daß rassistisches Denken nicht als isoliertes Pro­blem zu betrachten ist; es ist Bestandteil der „Grundhaltung“ von Men­schen, die aus der alltäglichen Lebenspraxis heraus entwickelt wird.[24]

Deshalb ist auch zu beachten, daß sich rassistische Einstellungen in Ver­bin­dung mit anderen Einstellungen zu rechtsextremen Ideologiegebäuden ver­netzen können. Die beim Rassismus zu beobachtende Mythologisierung bzw. „Naturali­sie­rung des Sozialen“ ist für die gesamte Ideologie des Recht­sex­tre­mismus kenn­zeichnend, so daß es nicht schwer ist, von rassistischen Einstel­lungen aus gleich­sam geistige Brücken zu schlagen zu rechtsextre­men Ideolo­gemen wie organi­sche Staatsauffassung, sexistische Sicht der Stellung der Frau etc. etc.[25] Es ist zu beobachten, daß rechtsextreme Ideo­logen ganz gezielt an rassistische Einstellun­gen anknüpfen, nicht nur um Wähler zu gewinnen, sondern um ihre Konzepte rechtsextremer Weltsicht tief im Interdiskurs zu verankern. (Vgl. S. Jäger/M. Jäger 1991, Jäger 1991a) Es geht rechtsextremen Ideo­logen und Propagandisten der Neuen Rechten wie Alain de Benoist oder Pierre Krebs keineswegs in erster Linie um Erfolge bei Wahlen, sondern, wie sie im Anschluß an den italienischen Marxisten Antonio Gramsci nach rechts ge­wendet formulieren, um die „Gewinnung der Kulturellen Hegemonie“ durch eine „Kulturrevolution von rechts“.[26]

 

 

1.5         Diskurstheorie und Diskursanalyse

Die Interviews wurden nach diskursanalytischen Gesichtspunkten aufberei­tet, wie ich diese im wesentlichen in Jäger 1991c dargestellt und theoretisch begrün­det habe. Dieses Verfahren, das in erster Linie anhand von und in Aus­ein­anderset­zung mit Analysen schriftlicher Texte entwickelt worden ist, ist für die Zwecke der Analyse unserer Interviews in einer Reihe von Punk­ten modi­fiziert worden.

Ich will mich deshalb hier mit einigen grundlegenden Hinweisen zu dem, was wir unter Diskurs und Diskursanalyse verstehen, begnügen.

Unter Diskurs verstehe ich „eine institutionell verfestigte Redeweise, inso­fern eine solche Redeweise schon Handeln bestimmt und verfestigt und also auch schon Macht ausübt.“ (Link 1983a, S. 60) Diskurse sind materiell und nicht ir­gendwie „flüchtige“, „geistige“ Phänomene bzw. bloße (wie auch im­mer ver­zerrte) Abbildungen von Realität - sie sind selbst Realität oder Ap­plikations-Vor­gaben für Realität.[27]

Diskurse sind zudem nichts Individuelles, sondern sie sind sozial. Jedes In­divi­duum ist in einige Spezialdiskurse, insbesondere aber in den Interdis­kurs ver­strickt, und zwar mehr, als daß er individuell zu seiner Gestaltung beitrüge. An­ders: Er/sie strickt nicht so sehr am Interdiskurs (und anderen Diskursen) mit wie er/sie selbst in ihn ver-strickt ist. Beteiligt sich ein Indi­viduum am ge­sell­schaftlichen (Inter-)Diskurs, - und das ist i.R. unvermeid­bar - so spricht es zum allergrößten Teil nicht selbst, „es wird gesprochen“. (Vgl. dazu z.B. Fou­cault 1988, Link 1986, Maas 1984 u.a.)

Diskursanalyse geht es nun u.a. darum, die Diskurse auf ihre Inhalte und Stra­tegien zu befragen, den Einfluß von Spezialdiskursen (oft vermittelt über Medien, Erziehung, mächtige Institutionen und Organisationen) auf den In­terdiskurs zu ermitteln, kurzum: sie transparent zu machen.

Unter dem Blickwinkel der Wissenssoziologie, auf die sich Teun A. van Dijk in erster Linie stützt (van Dijk 1987), läßt sich dieser Sachverhalt so fassen, daß da­von ausgegangen werden kann, daß die Individuen gelernte feste Schemata und Modelle oder auch Prototypen („Frames“ und „Scripts“) ver­wenden, die nicht individuell sind, sondern sozial und „vorgegeben“; sie werden von den Menschen im Verlauf ihrer Sozialisation angeeignet, ge­lernt. Nicht zu überse­hen ist dabei, daß die Individuen diesen Schemata nicht restlos „ausgeliefert“ sind, sondern daß sie sie modifizieren können, sofern die Lebensbedingungen solche Modifikationen von Routinen erlauben (was selten genug und noch sel­tener radikal der Fall ist). In der Regel kon­kretisieren die Individuen die vor­gegebenen Schemata durch ei­gene Erfah­rungen und Detail-Informationen, die sie von anderen bzw. aus den Medien beziehen.

Die besondere „Festigkeit“ der Diskurse und ihre breite soziale Veranke­rung, für die van Dijk in erster Linie die gelernten Schemata des Denkens verant­wortlich macht, erklärt sich zusätzlich daraus, daß die Produktion und Verfe­stigung von Diskursen auf dem Hintergrund einer etablierten po­litischen Symbolik der Bun­desrepublik erfolgt. Kein Ereignis, keine Nach­richt ist me­diengerecht kodiert, wenn es sich nicht dieser Symbolik bedient. Ja, der Inter­diskurs wird nach Jür­gen Link von „synchronen Systemen kol­lektiver Sym­bole“ zusammengehalten, die zudem durch Bildbrüche (Kata­chre­sen) mitein­ander verkoppelt werden.[28] Solche Systeme von Kol­lektiv­symbolen bezeichnet Link denn auch als den „Kitt“ der Diskurse bzw. als den Kitt der Gesellschaft. Solche Kollektivsymbole finden sich nicht sel­ten in unseren Interviews und zeigen die Ver-strickung der Einzel­nen in den (sozialen) Interdiskurs; sie ver­weisen zudem auf die Herkunft be­stimm­ter rassistischer Phänomene: Rassen­theorien und rassistische Ideologeme wer­den über Spezialdiskurse (Erzie­hungs­diskurs, akademische Diskurse, poli­ti­sche Diskurse, den Me­diendiskurs etc.) in den Interdiskurs einge­speist, in den die gesamte Bevölke­rung eingebunden ist.[29]

(Rassistische) Diskurse sind nun keineswegs harmlose und folgenlose ide­elle Prozesse, sondern sie disponieren die Individuen zu Handlungen bzw. Hand­lungsbereitschaften, z.B. zu Angriffen auf EinwanderInnen, bis hin zu Überfäl­len auf Flüchtlingsunterkünfte und brutalem Terror gegenüber Ein­wan­de­rInnen, wobei in einer Reihe von Fällen auch vor Mord und Totschlag nicht halt gemacht wird.

Die von uns erhobenen Interviews sind selbst Diskurs-Fragmente, die sich (teilweise) aus Spezialdiskursen speisen und Bestandteile des Interdiskur­ses darstellen, wobei sie selbst dazu beitragen, den Interdiskurs zu reprodu­zieren und zu verfestigen.

Diskursanalyse thematisiert sprachliche Texte (aller Art) also von Anfang an in ihrem Bezug zu ihrem sozialgeschichtlichen Hintergrund, aus dem sie ge­speist werden und auf den sie sich beziehen bzw. auf den sie wiederum (mehr oder minder stark) einwirken.[30] Texte werden demnach im Prinzip als Fragmente gesellschaftlicher Ereignisse aufgefaßt, die als solche analy­siert werden müs­sen.[31] Das in dieser Formulierung enthaltene Implikat, daß das Gesellschaftliche sprachlich und das Sprachliche gesellschaftlich sei, ist sicher­lich nicht unumstrit­ten und in dieser Form auch viel zu schlicht formuliert. Selbstverständlich gibt es gesellschaftliche Ereignisse und Prozesse, die unab­hängig von ihrer sprachlichen Fassung „geschehen“ und „gesehen“ werden können. Ihre gesellschaftliche Ver­arbeitung ist aber immer symbolisch kodiert; andernfalls ließe sie sich nicht ge­sellschaftlich verarbeiten. Umgekehrt speist sich jedes sprachliche Ereignis aus den re­alen Prozessen, die von uns Men­schen gedanklich-sprachlich-tätig verar­bei­tet werden einerseits; und anderer­seits haben diese sprachlichen Ereignisse Auswirkungen auf die realen Pro­zesse. Sie haben, je nach der Macht der Bedin­gungen (institutioneller Rahmen, Zugang zu Medien, persönlicher Einfluß etc.), denen sie unterworfen sind bzw. die sie nutzen können, gesell­schaftliche Macht. Jürgen Link formuliert diesen Zusammenhang wie folgt: Diskurs ist „eine insti­tutionell verfestigte Redeweise, insofern eine solche Redeweise schon Handeln bestimmt und verfestigt und also auch schon Macht ausübt.“ (Link 1983a, S. 60)[32]

Unter Beachtung der Leontjewschen Tätigkeitstheorie kann man sich hier ver­deutlichen, daß die im allgemeinen vorgenommene Trennung zwischen Spre­chen/Denken und Handeln bzw. geistiger und materieller Tätigkeit nicht auf­rechtzuerhalten ist. Auf die Frage, was das menschliche Leben ei­gentlich sei, antwortet A.N. Leontjew in kritischer Absicht gegenüber der sog. Wider­spiege­lungstheorie: „Es ist eine Gesamtheit, genauer gesagt ein System einan­der ablö­sender Tätigkeiten. In der Tätigkeit erfolgt auch der Übergang des Objekts in seine subjektive Form, in das Abbild, gleichzeitig erfolgt in der Tätig­keit auch der Übergang der Tätigkeit in ihre objektiven Resultate, in ihre Pro­dukte. Nimmt man die Tätigkeit von dieser Seite, fun­giert sie als ein Prozeß, in dem die wechsel­seitigen Übergänge zwischen den Polen „Subjekt-Objekt“ verwirklicht werden.“ (Leontjew 1982, S. 83) In bei­den Fällen handelt es sich um gegenständliche Tä­tigkeiten, die struktur­gleich sind und sich nur darin unterscheiden, inwieweit sie sich mehr „innen „ oder „außen“ vollziehen. Da­mit ist die Frage, ob das gesell­schaftli­che Sein das Bewußtsein bestimme oder ob das Umgekehrte der Fall sei, dialektisch aufgehoben.[33]

Verstrickung in Diskurse heißt somit immer auch Verstrickung in, Beteili­gung an Tätigkeiten. Die Übergänge zwischen mehr inneren und mehr äu­ße­ren Tä­tigkeiten sind fließend. Was jeweils dominiert, richtet sich nach den Tä­tigkeits­bedingungen (im weitesten Sinne). Das gilt auch für Über­gänge von der Tätig­keit rassistischen Denkens zu der Tätigkeit rassistisch (motiviert)er Tätlichkei­ten.

 

 

1.5.1      Interviews als Diskursfragmente

Welchen Status haben auf diesem knapp skizzierten theoretischen Hinter­grund aber nun Interviews, wie wir sie durchgeführt haben?[34]

Zunächst einmal: Mein Ziel ist es, Alltagshaltungen und -ansichten in All­tags­ge­sprächen zu erkunden. Nichtstandardisierte Interviews kommen dem nahe, sie haben aber ihre eigenen Regularitäten. Unsere Interviews könnte man als Real-Simulationen von Alltagsgesprächen bezeichnen.[35]

Doch was ist der Charakter von Alltagsgesprächen, unter diskurstheoreti­schen Gesichtspunkten betrachtet? Legt man die Bestimmungen des Dis­kurs­begriffs von Jürgen Link zugrunde, wonach Diskurse institutionalisiert und spezialisiert sind und bestimmten Regeln folgen und Macht ausüben, so kann man nicht be­haupten, daß jedes Alltagsgespräch im strengen Sinne als Dis­kurs(fragment) zu bezeichnen wäre.[36] Auf unsere Interviews treffen diese Bestimmungen von Dis­kurs jedoch in vollem Umfang zu, auch wenn es erfor­derlich ist, ihre Besonder­heiten hervorzuheben. Sie sind institutio­nalisiert, da die Interviewten eine Rolle im Gespräch erhalten haben, auf­gefordert sind, of­fen ihre Meinung zu sagen, und diese auf Tonband gespei­chert wird. Sie sind spezialisiert, denn die durch die Themenvorgaben evo­zierten Aussagen betref­fen in erster Linie Haltungen und Ansichten über gesellschaftlich relevante Probleme. Sie werden nicht regellos oder absichts­los geäußert, sondern mit dem Ziel, auf das Bewußtsein des Zuhö­renden (hier: der Interviewer) einzu­wirken. Da sie diese Möglichkeit haben, können sie auch prinzipiell Macht ausüben. Doch ihre Diskurs­haf­tig­keit besteht auch darin, daß sie Teil des In­terdiskurses sind, an diesem partizipieren. [37]

 

1.5.2      Tiefeninterviews

Im Unterschied zu der häufig zu beobachtenden Praxis, Einstellungen der Be­völkerung zu bestimmten politischen und anderen Ereignissen und Sach­ver­halten durch Beantwortung vorgegebener Einzelfragen in standar­disier­ten In­terviews oder nach multiple-choice-Verfahren o.ä. bestimmen zu wol­len, bedien­ten wir uns, ähnlich wie van Dijk, nicht-standardisierter In­ter­views, die wir als Tiefeninterviews auffassen und als solche analysieren.

Ich verwende den Terminus „Tiefeninterviews“ nicht in einem psychoanaly­ti­schen Sinn, sondern ich möchte damit den folgenden Sachverhalt andeu­ten: In aller Regel, besonders aber bei einem so heiklen Thema, wie dem an­gespro­chenen, ist davon auszugehen, daß die Interviewten ihre eigentlichen Ansich­ten meist mehr oder minder zu verdecken versuchen. Sie bedienen sich dazu man­cherlei (sprachlicher und nichtsprachlicher) Strategien und Tricks, deren sie sich oft selbst gar nicht bewußt sein mögen.[38] Solche Tricks sind z.B. die typischen Ja-Aber-Formulierungen, das Ausbalancieren negativer Aussagen durch (oft völlig klischeehafte) Positivaussagen (Bei­spiel: „Aber ihre Kinder haben hübsche Augen.“), Schweigen, Auswei­chen, Themenwechsel usw. Die sprachliche „Oberfläche“ der Interviews gibt daher kaum und wohl in keinem Fall alles das preis, was die Leute wirklich den­ken; sie stellt aber zugleich für die Analyse das einzige Material dar, auf das man sich beziehen kann. Es muß daher ein Verfah­ren angewendet wer­den, mit dessen Hilfe man „hinter“ dieses Material gehen kann, um das darunter liegende eigentliche Denken, die wirk­lichen Ansichten über Ein­wanderIn­nen erkennen zu können.[39]

Dazu ist es erforderlich, daß die sprachlichen Strategien und Tricks analy­siert werden, Implikate herausgearbeitet, Bildassoziationen erkannt wer­den, Be­deu­tungsfelder festgestellt werden, aus denen die Interviewten ihre Erzählun­gen speisen, die verwendeten Kollektivsymbole und Redewendun­gen erfaßt werden etc. etc. Mit anderen Worten: Das sprachliche Material muß so aufbe­reitet wer­den, daß es interpretierbar wird. Das heißt, neben der Bestimmung der allgemein ausgesprochenen sozialen Schemata bzw. der verwendeten Ma­krostrukturen, die sozial verbreitet und akzeptiert sind, muß der Versuch ge­macht werden, auf einer mikrostrukturellen Ebene die zusätzlichen und oft erst die wirklichen An­sichten zu Tage för­dernden sprachlichen Bedeutungen im Zusammenhang zu analysieren. Da­bei stößt man auf Elemente, die einem oberflächlichen Lesen und Abfragen in der Regel verborgen bleiben.[40]

Ich bringe dafür ein Beispiel, auch auf die Gefahr hin, daß es auf den ersten Blick übertrieben scheint. Eine der interviewten Personen ist ein sog. Assi­mila­tionsfa­natiker. Er akzeptiert EinwandererInnen nur dann in Deutsch­land, wenn sie be­reit sind, sich mit Haut und Haaren „ans Deutschtum“ an­zupassen, in Sprache, Kultur, Religion, Sitten und Gebräuchen. Tut der/die Betreffende das nicht, „dann muß man sie abschieben!“ Er berichtet nun an einer Stelle von einem Türken, der mit ihm auf einer Etage wohnt und der in „seinem“ Betrieb (Kokerei) eine Art Dolmetscherrolle einnimmt. Der Name dieses türkischen Arbeiters ist Emin. Der Deutsche nennt ihn jedoch ohne Ausnahme Emil. Frage: Geht sein Bemühen, einen „guten“ Türken zu imaginieren, so weit, daß er das nur kann, wenn er ihm einen deutschen Namen gibt? Das ist ein, allein betrachtet, möglicherweise unbe­deutendes Detail, das erst im Zuge einer sy­stematischen Materialaufbereitung auffällt und „sprechend“ wird und erst im Kontext anderer Interpretationen auf der Makro- und Mikroebene interes­sant wird.

 

 

1.5.3      Vorgegebene Themen für die Interviews

Den InterviewerInnen sind allein bestimmte Themen vorgegeben, die sie nach Möglichkeit im Interview (auch mehrfach) ansprechen sollten. Damit sollten Lebens-Kontexte vorgegeben werden, in denen die Interviewten mög­li­cher­­weise Erfahrungen mit EinwanderInnen machen konnten. Diese Vor­gehens­weise diente dem Zweck, die Interviews möglichst wenig vorzu­pro­grammie­ren und zugleich eine gewisse Vergleichbarkeit zu gewährlei­sten. Schriftliche Vorgaben für diese Themen gab es nicht, um die Intervie­wsitua­tion nicht als zu formal er­scheinen zu lassen.

Die Interviewenden einigten sich auf Einstiegsfragen vom Typ: Wie fühlen Sie sich hier? Wie kommen Sie im Alltag zurecht? Gefällt Ihnen Ihre Umge­bung? usw.[41]

Die vorgegebenen Themen für die Interviews waren:

        Nachbarn, Nachbarschaft, Stadt

        „Ausländer“ - falls die Interviewten nicht von sich aus darauf zu spre­chen kommen[42]

        Geschehen und Erlebnisse in Parks, öffentlichen Verkehrsmitteln, Ge­schäf­ten

        Arbeit, Beruf

        Schule (falls die Interviewten schulpflichtige Kinder haben)

        Quellen des Wissens (Medien, Bekannte, eigene Erfahrungen)

        Situation der Frau

        Vereinigung Deutschlands/»Öffnung« des Ostens

        Europäischer Markt und Abschottung nach außen

        Nach Möglichkeit sollte auch das Verständnis des Wortes „Deutsch“ aus­ge­lotet werden.

Neben diesen „vorgegebenen Themen“ haben die Interviewten selbstver­ständ­lich eine ganze Reihe anderer Themen angesprochen, die ebenfalls sy­stema­tisch er­faßt und analysiert wurden.

 

1.5.4      InterviewpartnerInnen und Interviewsituation

Interviews der Art, wie wir sie durchgeführt haben, bieten eine Reihe von Pro­blemen. Es handelt sich nicht um die Wiedergabe von Gesprächen in all­tägli­chen Gesprächssituationen, da sich die Interviews in einem gewissen institu­tionellen Rahmen (Interviewsituation mit Tonband etc.) abspielten. Das mußte in Kauf genommen werden, da sich eine verdeckte teilnehmende Beobachtung mit Ton­bandaufnahme für uns verbot. Um die damit mögli­cherweise gege­bene Künst­lichkeit der Situation (Beobachterparadoxon) zu minimieren, wur­den einige weitere Vorkehrungen getroffen:

        Bei dem ersten Kontakt mit der zu interviewenden Person wurde i.R. nur die prinzipielle Bereitschaft zur Teilnahme erfragt, wobei hier schon deut­lich gemacht wurde, daß es sich um ein strikt anonymes In­terview im Rahmen eines Seminars an der Universität Duisburg han­deln sollte. Na­men und Ortsangaben sind denn auch getilgt bzw. fiktio­nalisiert worden.

        Vor dem eigentlichen Interview fand eine Anwärmphase statt, in der über „unverfängliche Dinge“ bei noch abgeschaltetem Tonbandgerät ge­spro­chen werden sollte. Erst wenn die Interviewten sich „warm gere­det“ hat­ten, wurde das i.R. außerhalb des Blickfeldes plazierte Ton­bandgerät ein­geschal­tet und im weiteren Interviewverlauf nicht weiter beachtet. (Kassettenwechsel erfolgten frühestens nach 30 Minuten, wenn also die Gewöhnung an die Situation längst erfolgt war.)

        Die InterviewpartnerInnen sind nicht aus dem engeren Bekannten­kreis der Interviewenden ausgewählt worden, weil sonst die Gefahr be­stand, daß ge­genseitiges Vorwissen zu Verzerrungen bei Fragen und Antworten füh­ren könnte.

        Die Interviewenden sollten sich im Gespräch möglichst zurückhalten und primär als Themen- und ImpulsgeberInnen fungieren. Wie die In­ter­views zeigen, war dies nicht immer möglich, insbesondere dann nicht, wenn die Interviewten etwas „maulfaul“ waren oder Ansichten äußerten, die den einen oder die andere Interviewende(n) „auf die Palme“ brachten. Bei der Analyse der einzelnen Interviews sind solche Besonderheiten be­rücksichtigt worden.

        Die Interviews wurden i.R. in den Wohnungen der Interviewten durch­ge­führt („Heimvorteil“).

        Die Interviews wurden in möglichst vertrauter Atmosphäre durchge­führt. Das brachte es mit sich, daß gelegentlich die Frau/Freundin des In­ter­viewten bzw. der Mann/Freund der Interviewten beim Interview an­wesend waren und sich i.R. gelegentlich auch mehr oder minder in­tensiv am Ge­spräch beteiligten. Bei der Interpretation der betreffenden Inter­views sind diese Besonderheiten ebenfalls berücksichtigt worden.

 

1.5.5      Soziale Daten der Interviewten

Die Interviews wurden i.R. mit Eingeborenen durchgeführt („Deutsche“).[43]

Die Interviewten sollten über die folgenden Merkmale gestreut ausgesucht wer­den:

        Alter

        Geschlecht

        Schulabschluß (mit Abitur/ohne Abitur)

        aus Wohngebieten mit hohen EinwanderInnenanteilen bzw. ohne er­kenn­baren EinwanderInnenanteil[44]

Erfragt wurde ferner die Wohndauer im betreffenden Wohngebiet (und da­vor), der Beruf, politische Präferenzen, Familienstand, bevorzugte Zeitungs­lektüre, Dauer und Art des Fernsehkonsums, soziale Einbindung (Bekann­te, Häufigkeit der Kontakte).

 

1.5.6      Charakterisierung des Gesamtcorpus

Das Corpus besteht aus 22 Interviews von größtenteils jeweils 45-60 Minu­ten Dauer. Die Transkriptionen ergaben im Schnitt 800 Zeilen pro Inter­view; der Ge­samtumfang beträgt rund 17 000 Zeilen. Interviewt wurden 10 Männer und 12 Frauen. Bei 3 Interviews mit Männern waren auch Frauen (mit län­geren Rede­anteilen) beteiligt. 14 der Interviewten sind verheiratet, 8 sind al­leinstehend, 12 wohnen in einem Wohngebiet mit hohem Einwan­derInnenan­teil, 15 in einem Wohngebiet mit geringem EinwanderInnenan­teil; in einigen Fällen beziehen sich die Interviewten auch auf Wohngebiete, in denen sie frü­her (oft sehr lange) gelebt haben. Die Aufnahmen sind in fünf Großstädten des Ruhrgebiets durchge­führt worden (Duisburg, Essen, Gelsenkirchen, Mülheim, Oberhausen). Die Wohndauer beträgt in der Regel mehrere Jahre oder Jahr­zehnte. Die Alters­struktur ist ausgeglichen: 18-30 Jahre: 5; 31-40: 5; 41-50: 6; 51-60: 3; 61-70: 3; 71 und älter: 2. Beim Schul­abschluß haben wir einen (gewollten) Überhang von Menschen mit Haupt-/ Volksschulabschluß von 17 gegenüber 7 mit Abitur/Studium. Dies trägt tendenziell den Verhältnissen in der Gesamtbevölke­rung Rechnung. Politi­sche Präferenzen sind ebenfalls querbeet gestreut: neun der Interviewten nannten SPD und sechs CDU, 3 die FDP, je eine(r) moderat links und Grüne; drei hatten keine politischen Präfe­renzen. Bei der Zeitungslek­türe werden am häufigsten die „großen Familien­zeitungen“ genannt (17mal); 6mal wird BILD genannt; 4mal Der Spiegel; 2mal der und Stern, je 1mal das Handelsblatt, die Bunte, die FAZ, die FR, die Taz, die Zeit (häufige Mehrfachnen­nungen); 2 Personen geben an, keine Zei­tungen zu lesen. Der Fernsehkonsum ist tendenziell hoch: die meisten sehen zwischen 2 und 5 Stunden täglich fern; nur 6 Personen sehen weniger als 2 Stunden TV am Tag. Bevorzugt werden allgemein Nachrichten und Unter­haltungssendun­gen. Neun geben an, viele Bekannte zu haben; 11 eher wenig (einige mach­ten hierzu keine Angaben). 13 haben viel Kontakt zu ihren Be­kannten, 8 eher wenig oder gar keine Kontakte.

Insgesamt läßt sich sagen, daß die 22 Interviews einen relativ soliden Quer­schnitt durch die derzeitige (städtische) Bevölkerung darstellen. Ländliche Gebiete sind (bisher) aus der Untersuchung ausgeschlossen.[45]

(Über die Interviewten läßt sich jedoch noch einiges mehr sagen. In den Ge­sprä­chen wurde oft über lange Strecken auch über alltägliche Dinge gespro­chen, die nicht das Verhältnis bzw. die Einstellung zu EinwanderInnen be­tra­fen. Meist reichen diese Aussagen aus, um so etwas wie eine „Grund­hal­tung“ der Inter­viewten skizzieren zu können. Auch solche Ge­sprächsphasen sind bei der Aus­wertung mit berücksichtigt worden.)

 

1.5.7      Das Analyseverfahren

1.5.7.1   Zum Transkriptionsverfahren

Bei der Verschriftlichung der Interviews wurde ein ganz schlichtes Tran­skriptionsverfahren angewendet: Die Transkribenten sollten das aufschrei­ben, was sie hörten, wobei sie sich in Zweifelsfällen an die Rechtschreib­norm halten sollten. Dialektale und umgangssprachliche Besonderheiten sollten er­halten bleiben, Pausen, Auslassungen, Unverständlichkeiten mar­kiert werden etc. Damit soll nicht gesagt sein, daß nicht auch die Into­nation etc. für die Dis­kursanalyse wich­tig sein könnte. Wir stellten aber bei Vor­tests fest, daß die Er­kenntnisse, die dar­aus für die Interpretation der In­ter­views gewonnen werden können, erstens in keinem Verhältnis zum Auf­wand stehen, und ferner, daß sie im Vergleich zu den Ergebnissen der Un­tersuchung anderer Textaspekte nicht wirklich etwas Neues zu Tage för­dern.[46]

 

 

1.5.7.2   Leitfaden zur Analyse der Interviews (Materialaufbereitung)

Die Aufbereitung der transkribierten Interviews wurde anhand des folgen­den Leitfadens vorgenommen, wobei darauf verwiesen werden muß, daß diese grobe Vorgabe je nach den qualitativen Besonderheiten des Interviews modifi­ziert wurde, um jeglichen Formalismus zu vermeiden. Die folgenden Codie­rungen er­geben im übrigen keine „logische“ Reihenfolge oder gar eine „Gliederung“. Die nachfolgende Analyse/Interpretation beruft sich i.R. ohne­dies auf mehrere der herausgearbeiteten Materialbereiche.

 

 

Analyseleitfaden

1.           Interviewsituation

1.1         Interviewte Person(en), Verhältnis zur/m InterviewerIn, Vorgesprä­che etc.

1.2         Konkrete Interviewsituation (wo, wann, wer war noch dabei, in wel­cher Atmosphäre? etc.)

1.3         Gesamtcharakterisierung der Situation

2.           Materialaufbereitung

2.1         Gliederung in Sinneinheiten

2.2         Insgesamt angesprochene Themen

2.3         Themen zu EinwanderInnen

2.3.1      Welche Nationalitäten?

2.3.2      Cinti und Roma

2.3.3      Juden

2.4         Charakterisierungen dieser EinwanderInnen

2.4.1      Genetische Aussagen

2.4.2      Kulturelle Aussagen

2.4.3      Positive Aussagen

2.4.4      Sexistische Aussagen

2.5         Art und Form der Argumente: Strategien der Selbst- und Fremddar­stel­lung etc.

2.6         Quellen des Wissens

2.6.1      Eigene Erfahrung

2.6.2      Bekannte

2.6.3      Medien (Zeitungen/Fernsehen)

2.6.4      Andere Quellen

2.7         Redewendungen und Sprüche

2.8         Narrative Strukturen

2.9         Syntaktische Besonderheiten

2.9.1      Pronomina

2.9.2      Interjektionen (insbesondere „Gesprächswörter“ wie eh, ne?! newar?! u.ä.)

2.10       Kollektivsymbole

2.11       Metaphern

2.12       Implikate

2.13       Bedeutungsfelder (Substantive, Adjektive, Verben)

2.14       Allgemeiner Stil

2.15       Allgemeiner Wortschatz

2.16       Funktion des/r InterviewerIn

2.17       Selbstdarstellung des/der Interviewten

2.18       Darstellung und Funktion weiterer TeilnehmerInnen am Interview durch den/die Hauptinterviewte(n)[47]

 

 

1.6         Ablauf und Durchführung des Projekts

Ziel des Projekts war es, eine explorative Paralleluntersuchung zu den em­piri­schen Untersuchungen van Dijks für die Bundesrepublik Deutschland durch­zuführen.[48] Nach längerer Vorbereitung in einer Arbeitsgruppe des Duisbur­ger Instituts für Sprach- und Sozialforschung (DISS) wurde um die Jahres­wende 1990/91 in Verbindung mit einem Forschungs-Seminar an der Uni­versität GH Duisburg ein Set von 22 nicht standardisierten Interviews (Tiefeninterviews) von jeweils 45-60 Minuten Dauer erhoben, transkribiert und zunächst als Material aufbereitet (vgl. dazu Jäger 1991c).[49]

Auf der Grundlage dieser Materialaufbereitungen wurden die Interviews je­weils einzeln analysiert und interpretiert. Die Ergebnisse wurden in der Ar­beitsgruppe diskutiert und kritisiert und danach i.a. noch mehrfach überar­bei­tet. Wegen des Umfangs der Einzelinterpretationen konnten nicht alle in die­sen Projektbericht aufgenommen werden. Wir haben versucht, eine Aus­wahl zu treffen, die das Gesamtcorpus und in ihm graduell unterschiedliche Ver­strickungen in rassisti­sche Diskurse in etwa repräsentiert.[50] Die jeweils indivi­duellen Aspekte der Ein­zelinterpretationen sind durchaus mit Absicht erhalten geblieben.

Knappe Inhaltsangaben aller Interviews geben einen genaueren Überblick über das Gesamt-Corpus.

Die Interviews und die so erarbeiteten Materialaufbereitungen sowie die Ein­zel­analysen stellten die Basis für die synoptische Analyse dar.[51] Diese zielt dar­auf ab, die allgemeinen Schlußfolgerungen aus dem Projekt, die den Abschluß dieses Bu­ches bilden, zu erleichtern.

Offen sei gesagt, daß dieses Projekt (zumindest zu einem Teil) im Rahmen uni­versitärer Qualifikationserfordernisse durchgeführt wurde. Die hohe Mo­tiva­tion aller Beteiligten und die Bereitschaft, sich in einem forschungs­be­zogenen Hauptseminar einem Arbeitsaufwand zu unterziehen, der den Rahmen des Üb­lichen bei weitem sprengt, dürfte aber aus etwas anderem resultieren. Un­ser In­teresse an diesem Projekt ist und war kein (rein) aka­demisches, sondern wir wollen zur Entschärfung eines drängenden gesell­schaftlichen Problems beitra­gen: soziale und politische Bewältigung des Rassismus, den wir als eine Gefahr für die Demokratie ansehen.[52] Ange­sichts der derzeitigen weltweiten politischen, sozialen und ökonomischen Turbulenzen ist abzusehen, daß sich dieses Problem in den kommenden Jahren weiter zuspitzen wird. Es ist daher erklärte Absicht der Mitarbeiter­Innen an diesem Projekt, auf der Grundlage ihrer Ergebnisse Konzepte an­tirassistischer Erziehung und Handlungsmög­lichkeiten zu diskutie­ren und/oder besser diskutierbar zu machen.[53]

1.7         Mitarbeit(erInnen)

Ohne die Mitarbeit von Studierenden der Universität GH Duisburg wäre es völlig aussichtslos gewesen, ein solches Projekt durchzuführen.[54]

Ich danke den folgenden Studierenden der Universität GH Duisburg, die die In­terviews durchgeführt, transkribiert und Materialaufbereitungen vorge­nom­men haben:

Silke Schledorn, Sabine Ulrich, Sabine Walther, Stephan Groppe, Stefanie Han­sen, Dirk Retzlaff, Veronika Haarhaus, Hermann Cölfen, Erika Klin­ner, Frank Wichert, Andreas Quinkert, Ingrid Elm, Margret Jäger, Marion Mey­boom, Ay­gül Arslan, Ulrike Busse, Sabine Hansen, Catherine Peyre, Angelika Müller, Sa­bine Berchem, Anja Sklorz.

Einzelinterpretationen von Interviews wurden zu diesem Band beigesteuert von Ulrike Busse, Stefanie Hansen, Margret Jäger, Angelika Müller, Anja Sk­lorz, Sabine Walther, Hermann Cölfen, Andreas Quinkert und Frank Wi­chert. Ihre maßgebliche Mitarbeit an diesem Projekt besteht jedoch nicht nur darin. Sie ha­ben zudem in besonderer Weise zum Abschluß dieser Stu­die dadurch beigetra­gen, daß sie jeweils mehrere Vorlagen von Interpreta­tionen anderer Mitglieder der Arbeitsgruppe durchgearbeitet und verbes­sert haben. Das gilt teilweise auch für andere Teile dieses Buches.

Erste Ergebnisse des Projektes wurden auf einem Colloquium des DISS vom 11. bis 13. 10. in Düsseldorf sowie auf einem Linguistischen Colloquium un­ter der Leitung von Konrad Ehlich am 26.11.1991 an der Universität Dort­mund vorge­stellt und diskutiert. Anregungen und Kritik, für die ich mich herzlich bedanke, konnten für diese Veröffentlichung berücksichtigt wer­den. Bedanken möchte ich mich ebenfalls bei Ute Gerhard und Jürgen Link (Universität Bochum/Diskurswerkstatt Bochum), mit denen wir Teile unse­rer Arbeitser­gebnisse auf einem workshop besprechen konnten.

 

 

Wir weisen an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich darauf hin, daß alle Texte auf unseren Seiten dem Copyright unterliegen. Zur Weiterverbreitung oder kommerziellen Nutzung ist eine ausdrückliche Genehmigung des DISS erforderlich. Wir bitten um Ihr Verständnis.

 

 

(Zurück zum Verzeichnis der Volltexte)  (Zum Inhaltsverzeichnis von BrandSätze)

Copyright © 2000 Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung
Stand: 25. September 2006

 



[1]          Europäisches Parlament 1990. Der entsprechende Bericht von 1991 beruft sich auf die gleiche Statistik, vgl. Europäisches Parlament 1991, S. 63.

[2]          Presseberichten zufolge überschritt die Anzahl der Anschläge bis Dezember 1991 die 2000er-Grenze. Eine sehr lange, wenn auch noch unvollständige Liste der Tätlich­kei­ten erschien in der Zeitschrift konkret in den Ausgaben 11, 12/1991 und 1/1992. Das BKA berichtete von 1800 offiziell gemeldeten kriminellen Akten zwischen An­fang August und November 1991. Im Januar 1992 setzte sich diese Kette von Ge­walt­taten weiter fort, auch wenn darüber meist nicht mehr berichtet wird.

[3]          Vgl. dazu Link 1991a.

[4]          Das wird sich möglicherweise in kürzester Zeit ändern. In einem Interview mit der WAZ vom 17.1.1992 verlautbarte der Bundesminister für wirtschaftliche Zusam­men­arbeit, Carl-Dieter Spranger: „Aus den Ländern Afrikas droht eine Massen­flucht nach Westeuropa, wenn nicht zusätzliche Anstrengungen der Entwicklungs­hilfe unternommen werden.“

[5]          Vgl. dazu unsere Darstellungen in Jäger/Jäger 1991, Jäger 1991a.

[6]          „Die Skins“ gibt es nicht. Die Gruppe der Jugendlichen, die sich Skins nennt, ist ein sehr vielfältiges und politisch heterogenes Gebilde, zu dem auch antirassistisch ein­gestellte Gruppierungen zu zählen sind. Waren an Überfällen auf Flüchtlingsheime Skins beteiligt - und es waren daran beteiligt auch sehr viele „brave Bürgerinnnen und Bürger“ -, dann waren es solche, die diffus rechtsextreme Gedanken hegen. Sol­che Skins gingen auch nicht organisiert vor, wie vermutet wurde, sondern agierten in kleinen Gruppen. Die Täter verstanden sich als Vollstrecker des Urteils gegen EinwanderInnen, das öffentlich gefällt wurde, das aber keiner zu vollstrecken wagte. Sie sehen sich als Helden und keineswegs als Verbrecher. Vgl. dazu auch Quin­kert/Jäger 1991.

[7]          Die Gründe dafür liegen nicht so sehr im Fehlen eines wissenschaftlichen Konzep­tes, sondern in erster Linie in einem Problem, das ich als symptomatisch ansehe. Meine Versuche, für dieses Projekt Forschungsmittel zu erhalten, sind ohne Aus­nahme gescheitert, obwohl ich zu rund 30 deutschen Stiftungen und Forschungsför­derungseinrichtungen Kontakt aufgenommen habe. Rassismus gebe es nicht, und was es nicht gebe, könne man nicht untersuchen - so lautete eine Standardantwort auf meine vielfachen Anträge. Auch wurde zu bedenken gegeben(!), daß ich einen in­terdisziplinären Ansatz verfolge, was aus meiner Fachdisziplin heraus nicht zu lei­sten sei. Der Hinweis auf das Vorliegen einer Vielzahl von Veröffentlichungen zum Thema, der Nachweis vorangegangener großer Projekte ähnlich interdiszi­plinären Charakters, die bereits von mir durchgeführt wurden, reichte dabei nicht aus, die Bedenken zu zerstreuen. Da ich angesichts der Dringlichkeit des Problems und seiner gesellschaftlichen Relevanz trotzdem nicht bereit war, auf die Durchfüh­rung eines solchen Projektes zum Alltäglichen Rassismus zu verzichten, habe ich den einge­schränkteren Weg wählen müssen, wie er in dieser Monographie darge­stellt ist. Er läßt, meine ich, beurteilen, zu welchen differenzierteren und verläßli­cheren Resulta­ten ein solches Projekt bei entsprechender Forschungsförderung ge­langen kann.

[8]          Zu diesem Problem siehe weiter unten im einzelnen Genaueres. Verweisen möchte ich an dieser Stelle jedoch darauf, daß Teun A. van Dijk und seine MitarbeiterInnen für die Niederlande, Großbritannien und die USA insgesamt 150 Interviews auswer­teten (Vgl. van Dijk 1987, S. 8). Die Studie des Vorstands der SPD zu Wählereinstel­lungen nach der Europawahl 1989 stützte sich auf 35 Interviews („Intensiv­be­fra­gun­gen“), die als „reichhaltiges Forschungsmaterial“ bezeichnet wer­den und die von Wissenschaftlern (u.a. Heitmeyer, Hennig, Stöss, Hofmann-Göttig) und mehreren Politikern inhaltsanalytisch untersucht wurden. (Vgl. SPD-Partei-Vorstand 1989).

[9]          Ich verweise hierzu ganz allgemein auf die Sinus-Studie von 1981 und auf diverse Wahl- und Einstellungsanalysen und Umfragen der Medien (Spiegel-Analysen, Po­lit-Barometer etc.). Vgl. auch Pohrt 1991, der den spannenden Versuch gemacht hat, „Elemente des Massenbewußtseins BRD 1990“ zu ermitteln. Seine Befürchtung, daß uns ein neuer Faschismus ins Haus stehe (Pohrt 1990), teile ich nicht. Richtig scheint mir aber, daß wir mit erheblichen Verwerfungen des Massenbewußtseins zu tun haben und insgesamt mit einem Vorgang einer Drift der politischen Landschaft nach rechts. S. dazu auch Jäger/Jäger 1991 und Jäger 1991a.

[10]        Vgl. dazu auch den kritischen Forschungsüberblick bei Auernheimer 1990.

[11]        Solche Materialien (Vgl. Jäger 1991b) sind im allgemeinen schwer oder gar nicht einsehbar. Das liegt meist daran, daß solche „Ware“ schwer zu „verkaufen“ ist: Die Publikation „lohnt“ sich nicht. Es kann aber auch davon ausgegangen werden, daß es sich gelegentlich bei diesen Materialien um die berühmten „Karten“ handelt, in die sich manche(r) „nicht gern hineingucken läßt“. Um so mehr habe ich Anlaß, mich bei Teun A. van Dijk für die Überlassung seiner Materialien zu bedanken. Ein Bei­spiel daraus ist in dem Materialband als Interview Nr. 23 veröffentlicht. Vgl. Jäger 1991b, S. 585-596.

[12]        Nebenbei verweise ich darauf, daß viele der Interviewten „Ruhrdeutsch“ sprechen, was für LeserInnen von außerhalb des Ruhrgebiets besonders interessant sein dürfte. Es handelt sich um eine Umgangssprache, die sich teilweise noch aus dem „Plattdeutschen“ speist, das im Ruhrgebiet „in reiner Form“ nur noch in eher ländli­chen Gebieten gesprochen wird. Es handelt sich um eine Sprachform mit eigenen Strukturmerkmalen. (Vgl. dazu Fekeler-Lepszy 1983, Mihm 1985.)

[13]        Vgl. insbesondere Lewontin, Rose, Kamin 1988, Pinn/Nebelung 1991.

[14]        Vgl. den Überblick bei Auernheimer 1990, S. 151-169.

[15]        Vgl. van Dijk 1987, 1992a.

[16]        Vgl. S. Jäger/M. Jäger 1991, Jäger 1991a.

[17]        Hier sind selbstverständlich mancherlei terminologische Unterschiede feststellbar. So spricht etwa Jürgen Link von Neo-Rassismus, wenn er das bezeichnen möchte, was andere als kulturellen, kulturalistischen, differentialistischen etc. Rassismus oder noch ganz anders bezeichnen. Vgl. Link 1990. Van Dijk formuliert: „Especially in Western Europe ... the discourse of race and racism has gradually taken a more sophisticated form by focusing primarily on 'ethnic' properties of minority groups, and by emphasizing 'cultural' differences. Hence, racism needs a more general, so­ciocultural correlate, namely, ethnicism (Mullard 1985), to account for prejudice and discrimination against ethnic minority groups in general. Our usage of the term ra­cism follows the traditional terminology, but it is intended to cover also the notion of ethnicism.“ 1987, S. 28) Van Dijk schließt sich damit dem inzwischen gebräuchlichen Verständnis von Rassismus in der internationalen Diskussion an. Dazu siehe weiter un­ten.

[18]        Dadurch wird „Der Andere ... zum reinen Objekt, zum Spectaculum, zum Kasperle. An die Grenzen der Menschheit verwiesen, stellt er für das Zuhause keine Gefahr mehr dar.“ (Barthes 1964, S. 143)

[19]        Vgl. dazu ausführlich Jäger 1991a. In Südafrika z.B. beherrscht eine Minderheit von Weißen die Mehrheit von Schwarzen. Die Macht der Weißen ergibt sich hier insbe­sondere aus ihrer Verfügung über Geld, Polizei und Militär.

[20]        Vgl. jetzt auch Miles 1991.

[21]        Es geht mir bei dieser theoriegeleiteten empirischen Untersuchung nicht darum, eine erschöpfende Diskussion des Rassismusbegriffs auszubreiten. Ich verweise dazu auf die Literatur und auf eigene Untersuchungen, die andernorts veröffentlicht sind. Es wird sich jedoch zeigen, daß die Diskursanalyse unserer Interviews auch geeignet ist, bestimmte theoretische Annahmen, die im Rahmen der internationalen Rassis­musdiskussion inzwischen Konsens sind, weiter auszudifferenzieren, wenn nicht gar zu modifizieren.

[22]        Vgl. dazu ausführlich van Dijk 1987, S.180-195. Dies ist für unsere Untersuchung deshalb von besonderer Wichtigkeit, weil sich daraus ergibt, daß die qualitative Ana­lyse einer relativ geringen Anzahl von Interviews bereits große Verallgemeine­run­gen zuläßt. Die in der empirischen Sozialforschung übliche „Reprä­sen­tativität“ von mehreren tausend Probanden ist dabei nicht erforderlich. Sie ließe eine so ge­naue Analyse des erhobenen Materials, wie diese bei wenigen Interviews möglich ist, auch nicht zu. Vgl. dazu auch weiter unten.

[23]        Vgl. dazu Quinkert/Jäger 1991 oder auch Link 1992.

[24]        Vgl. dazu Leiprecht 1991. Solche „Grundhaltungen“ bilden „oft eine „Basis“ für die subjektiven Gründe, die zur Ablehnung „Anderer“ herangezogen werden.“ (ebd. S. 29) Mit solchen Grundhaltungen ist etwa die Ansicht gemeint, man könne Menschen nach dem Kosten-Nutzen-Kalkül bewerten, oder: da man selbst hart arbeiten müsse, sei Härte auch immer den „Anderen“ gegenüber angebracht etc.

[25]        Roland Barthes sieht den „Zweck“ der Mythen darin, „die Welt unbeweglich zu ma­chen.“ So „müssen (die Mythen) eine universale Ökonomie suggerieren und mimen, eine Ökonomie, die ein für allemal die Hierarchie des Besitzes festgelegt hat. So wird an jedem Tag und überall der Mensch durch die Mythen angehalten, von ihnen auf den unbeweglichen Prototyp verwiesen, der an seiner Statt lebt und ihn gleich einem ungeheuren inneren Parasiten zum Ersticken bringt, seiner Tätigkeit enge Grenzen vorzeichnet, innerhalb derer es ihm erlaubt ist zu leiden, ohne die Welt zu verän­dern.“ (Barthes 1964, S. 147)

[26]        Zu diesem Konzept vergleiche etwa Alain de Benoist 1985. Zu Pierre Krebs vgl. seine Artikel in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift „elemente“. Diese Position wird im allgemeinen als die der „Neuen Rechten“ bezeichnet. Es ist jedoch nicht zu ver­kennen, daß solche Vorstellungen inzwischen auch in der traditionellen Rechten an Einfluß gewonnen haben. Vgl. dazu Jäger (Hg. 1988). Hier findet sich auch eine aus­führliche Würdigung des Pierre Krebs und eine Analyse eines seiner Artikel aus „elemente“ 1987.

[27]        Vgl. dazu genauer Link 1992.

[28]        Vgl. Link 1982a, 1983, 1990, 1991a und b.

[29]        Auch van Dijk stellt die Wichtigkeit der „Metaphorik“, wie er sagt, heraus, ohne ihr jedoch die bei Link nahezu ausschließliche Bedeutung für die Wirksamkeit der Dis­kurse zuzubilligen oder sie gar Systemen politischer Kollektivsymbolik zuzuordnen. Am Beispiel der Flut-Metapher erläutert van Dijk jedoch auch, daß die Verwendung solcher sprachlicher Mittel in den Medien „show that this is precisely how a majority of the public understands and accepts the official versions.“ (1987, S. 373)

[30]        Das ist m.E. der prinzipielle Unterschied zwischen Text- und Diskursanalyse. Die Textlinguistik beschränkt sich weitestgehend auf den Text als solchen und seine tex­tinternen Regularitäten. In Verbindung mit der Diskursanalyse wird im Unter­schied dazu beansprucht, daß Sprachanalyse und Gesellschaftsanalyse (Analyse der gesellschaftlichen Bedingungen) Hand in Hand zu gehen haben.

[31]        Das gilt im Prinzip für jeden Text. Allerdings gibt es in dieser Hinsicht einige Unter­schiede: Die gesellschaftliche Relevanz von Texten kann sehr verschieden sein. All­gemeine Aussagen dazu kann ich an dieser Stelle nicht vornehmen. Ich möchte je­doch auf die Kompliziertheit des Problems durch ein Beispiel verweisen: Welcher Text hat größere gesellschaftliche Relevanz: Die Todesfuge Paul Celans oder eine Neujahrsansprache von Helmut Kohl?

[32]        Für eine genauere Darstellung verweise ich auf Jäger 1991c.

[33]        Vgl. dazu auch Januschek 1986 S. 139-152. In einer neueren Abhandlung formuliert Jürgen Link in kritischer Abhebung gegenüber diversen Abbildtheorien: „Diskurse gelten nicht als wesenhaft passive Medien einer In-Formation durch Realität, sozu­sagen als Materialitäten zweiten Grades bzw. als »weniger materiell« als die echte Realität. Diskurse sind vollgültige Materialitäten ersten Grades unter den anderen.“ (Link 1992, S. 4) Sie sind oft „Applikations-Vorgaben für individuelle und kollektive Subjektivitätsbildung“. (ebd. S. 5) Sie spiegeln nicht die Wirklichkeit wider, sondern sie eilen ihr sozusagen voran, präformieren sie. Die wichtigsten Mittel zu diesem Zweck sind nach Link besonders die Kollektiv-Symbole, wie sie in den Massenme­dien so häufig auftauchen.

[34]        Zu dieser Frage ist anzumerken, daß es bisher keine Untersuchungen von nicht-standardisierten Interviews, wie wir sie durchgeführt haben, auf Grundlage einer Diskurstheorie, wie ich sie hier skizziert habe, gibt. Die Frage, ob Alltagsgespräche Diskurse sind, beantwortet van Dijk, der aber einem diskurstheoretischen Ansatz folgt, der auf dem Boden der KI-Forschung entstanden ist, wie folgt: „Discourse is primarily taken as a specific form of social interaction, and not just as an „ab­strac­ted“ or „produced“ result of such interaction. That is, social members „partici­pate“ in discourse in a similar way as they participate in other types of social interaction. This is particularly obvious in face-to-face verbal interaction ...“ (van Dijk 1987, S. 32). Der sehr elaborierte theoretische Ansatz van Dijks ist dargestellt in van Dijk/Kintsch 1983. In einigen seiner Grundannahmen, insbesondere hinsicht­lich der Annahme, daß Diskurse sozial sind, bestimmte Haltungen und Meinungen sozial ge­teilt werden und deshalb einzelne Aussagen von Individuen eine gewisse Allge­mein­gültigkeit haben, überschneiden sich die Ansätze van Dijks, Links und der von Maas, auch wenn diese Ansätze teilweise theoretisch sehr unterschiedlich be­gründet werden. Eine Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen Richtungen von Dis­kurstheorie und Diskursanalyse hat m.W. bisher noch nicht stattgefunden. Sie soll auch hier nicht geleistet werden. Für unsere empirische Untersuchung stüt­zen wir uns primär auf die theoretischen Vorgaben von Maas und Link, wie sie in Jäger 1991c diskutiert worden sind. Die empirischen Untersuchungen van Dijks, be­son­ders van Dijk 1987, erlauben trotz des unterschiedlichen theoretischen Ansatzes ei­nige aufschlußreiche Vergleiche mit dem Alltagsdiskurs in den Niederlanden und den USA.

[35]        Unser Augenmerk richtet sich in erster Linie auf die Aussagen der Interviewten und nicht so sehr auf die Aussagen, insbesondere die Fragen der Interviewenden, die sich vornehmlich im Rahmen vereinbarter Themenbereiche bewegen (dazu siehe weiter unten!). Selbstverständlich sind daneben auch die Aussagen der Interviewen­den zu beachten. Für die Interpretation der Aussagen der Interviewten kann es von Bedeutung sein, ob diese von sich aus zu bestimmten Themen gelangen, ob sie auf mehr oder minder suggestive Fragen reagieren etc. Zu den konkreten Problemen und Besonderheiten, die mit der Textsorte Interviews als Materialgrundlage für eine empirische Untersuchung verbunden sind, siehe weiter unten.

[36]        Vgl. Link 1982b.

[37]        Den Interdiskurs kann man sich als ein „fluktuierendes Gewimmel“ verschiedenster Diskursfragmente vorstellen, die mehr oder minder stark aufeinander bezogen sind, einander beeinflussen, von dominierenden Diskursen, z.B. dem Mediendiskurs und, darüber vermittelt, dem Politikerdiskurs, den verschiedenen Spezialdiskursen etc. beeinflußt werden. Zu dieser Terminologie vgl. Link 1986, S. 5f. Interdiskurs wird bei Link als Gesamtheit eines „stark selektiven kulturellen Allgemeinwissens“ ge­faßt. Spezialdiskurse sind z.B. die der Naturwissenschaften, die der Humanwissen­schaf­ten und interdiskursiv dominierte Spezialdiskurse wie die der Theologie und der Philosophie. Diese Spezialdiskurse „speisen“ den Interdiskurs.

[38]        Insofern habe ich auch Zweifel an der Zuverlässigkeit anonymer standardisierter Be­fragungen und erst recht an multiple-choice-Befragungen. Anonymität verhindert nicht, daß falsche oder schiefe Angaben gemacht werden. multiple-choice-Befragun­gen geben so grobe Antworten vor, daß dazu geäußerte Zustimmungen oder Ableh­nungen in der Regel mehr als grobschlächtig sind. Sie mögen gewisse Hinweise ge­ben, ersetzen aber keine qualitative Analyse.

[39]        Hier haben wir es mit einem klassischen Problem der Sozialwissenschaften zu tun: „The problem in the human and social sciences is to make invisible things visible.“ (Jahoda 1986)

[40]        Diese Vorgehensweise hat dazu geführt, daß äußerst umfangreiche „Mate­ri­alaufbe­reitungen“ von teilweise mehr als 100 Seiten Umfang entstanden, wo­bei auch diese noch keineswegs als restlos erschöpfend betrachtet werden kön­nen. Dabei zeigte sich, daß die vorgenommenen empirischen Analysen von Einzel­phäno­menen fast immer an einen Punkt kamen, von dem aus keine neuen Er­kenntnisse für die Inter­pretation zu Tage traten. Zu beachten ist auch, daß die Analysen von Einzel­phäno­menen sich hinsichtlich ihrer Brauchbarkeit für die In­terpretation überlappen kön­nen. Wir erhalten hier möglicherweise Hinweise für ge­zieltere und weniger auf­wen­dige empirische Analysen, die bei der Untersuchung weiterer Inter­views nütz­lich sein können.

[41]        In Analogie zu van Dijk, dessen Themenvorgaben etwas erweitert bzw. aktualisiert und auf die Situation der Bundesrepublik übertragen wurden, s. van Dijk 1987, S. 403. Hilfreich für die Modifikation der Themenvorgaben war auch Struck 1989.

[42]        In dieser Hinsicht wurde von den meisten Interviewenden recht große Zurückhal­tung geübt, so daß das Thema „Ausländer“ gelegentlich erst sehr spät zur Sprache kommt. Das Wort „Ausländer“ haben wir in den Interviews i.a. verwendet, weil die an sich angemesseneren Bezeichnungen wie EinwanderInnen, ImmigrantInnen etc. in der Alltagssprache noch sehr ungeläufig sind. In unseren eigenen Texten spre­chen wir im allgemeinen von EinwanderInnen oder auch von Flüchtlingen.

[43]        Vgl. aber Interview 22, das mit einer aus Italien stammenden Frau durchgeführt worden ist, die aber seit mehr als 30 Jahren in der Bundesrepublik lebt.

[44]        Die von den Interviewenden gemachten Angaben wurden anhand offizieller kom­mu­naler Statistiken überprüft.

[45]        Die Addition der Angaben erreicht nicht in jedem Fall die Zahl 22. Gelegentlich wurden vage Angaben gemacht, so etwa bei der Frage nach Bekannten (mal so, mal so). Ist z.B. die Zahl 22 überschritten, so liegt das daran, daß an einigen Interviews mehrere Interviewte beteiligt waren.

[46]        Untersuchungen der Intonation etc., aber auch bestimmter paralinguistischer Phä­nomene, sind als solche sicherlich interessant und tragen dazu bei, zu neuen theore­tischen Erkenntnissen zu gelangen. Sie sollen deshalb nicht abgewertet werden. Im Rahmen unserer Untersuchung sind sie jedoch eher zu vernachlässigen.

[47]        Die Anwendung dieses Instrumentariums ist mit den ProjektteilnehmerInnen am konkreten Material erprobt und „gelernt“ worden.

[48]        Hier gibt es eine ganze Reihe von Untersuchungen zu verschiedenen rassistischen Diskursen, insbesondere zu den Medien, zum Erziehungsdiskurs etc. (Vgl. dazu auch den Überblick bei Jäger 1991d) Die Untersuchungen von Leiprecht 1990 und 1991 und von Held u.a. 1991 erkunden politische Einstellungen von lohnabhängig beschäf­tigten Jugendlichen. Diese Untersuchungen ergänzen unseren Versuch in beein­druckender Weise. Die Autoren gehen von ähnlichen rassismustheoretischen Vor­aussetzungen aus wie wir und stützen sich zudem, insbesondere wo es ihnen um die Entwicklung anti-rassistischer Jugendarbeit geht, auf handlungstheoretische Kon­zepte, wie sie im Umfeld der Kritischen Psychologie auf Grundlage der Kultur­histo­rischen Schule Wygotzkis und A.N. Leontjews entwickelt worden sind. Sie ar­beiten u.a. auch mit nicht-standardisierten Interviews, verwenden aber (als Polito­logen und Psychologen) Analyse- und Interpretationsverfahren, die nicht an der Diskurstheorie orientiert sind, wie dies bei unseren Versuchen der Fall ist.- Eine große empirische Untersuchung zu Rassismus bei Jugendlichen aus der ehe­mali­gen DDR stellt Friedrich/Netzker/Schubarth 1991 und Schubarth/Friedrich 1991 dar. Vgl. auch Friedrich/Schubarth 1991. Es handelt sich um die Analyse von Befragun­gen von ca. 2800 Jugendlichen von 7. - 12. Klassen in schriftlicher Form im Grup­pen­verband, die Ende 1990 durchgeführt wurden. Themenkomplexe der Vor­gaben waren Rechtsextremismus, Kriminalität und Einstellungen zu „Ausländern“. Die Analy­sen arbeiteten mit standardisierten vorgegebenen Antworten wie „Es sind zu viele“ etc. und ergänzten ihre Resultate durch Vergleiche  mit einer Umfrage, die das ehe­malige Leipziger Zentralinstitut für Jugendforschung im Herbst 1990 für alle Al­ters­gruppen durchgeführt hat u.a. mit Einschätzungsskalen von +5 bis -5. Die Überein­stimmung mit dieser Umfrage, so schreiben die Autoren, ist beeindruckend. Sie schätzen die Situation wie folgt ein: „Vieles spricht dafür, daß wir in Ostdeutsch­land erst am Anfang einer Radikalisierung unter Teilen der Jugendlichen stehen.“ (Friedrich/Schubarth 1991, S. 1064) Auch diese Untersuchung zeigt, daß es und wie verbreitet es Rassismus unter Jugendlichen aus der ehemaligen DDR gibt und an welchen Themen er sich festmachen läßt. Auch dazu wäre eine ergänzende qualita­tive Analyse wünschenswert.

[49]        Die Interviews sind in dem Material-Band (Jäger 1991b) so wiedergegeben, wie sie von den StudentInnen und weiteren Mitarbeitern des DISS transkribiert wurden.

            In diesem Zeitraum eskalierte die Golfkrise und tobte ab 15.1.1991 der Krieg. Die Spu­ren dieser Ereignisse sind den Interviews an vielen Stellen abzulesen.

            Die Materialaufbereitungen zu den Interviews wurden von den jeweiligen Intervie­werInnen vorgenommen, dann aber von mir und einem/einer zusätzlichen „Bericht­er­statterIn“ überprüft, korrigiert und in der Forschungsgruppe diskutiert. Die Kor­rekturen und Protokolle der Diskussionen wurden als zusätzliches Material berück­sichtigt sowie in die endgültige Materialaufbereitung einbezogen. Der Ge­samtum­fang der Materialaufbereitungen beträgt 1700 Seiten.

[50]        Einzelanalysen wurden zu allen Interviews durchgeführt. Doch nicht alle Interviews wurden so umfassend interpretiert wie die in diesem Band abgedruckten. Da abseh­bar war, daß aus Platzgründen nur ein Teil der Interviewanalysen abgedruckt wer­den konnte, wurde eine Vorauswahl derjenigen Interviews getroffen, die uns als ty­pisch für das Gesamtcorpus erschien.

[51]        Die synoptische Analyse konnte sich auf eine Datenbank stützen, die ich zusammen mit Hermann Cölfen und Frank Wichert aufgebaut habe. Auch für die Korrelation der Sozialdaten mit den inhaltlichen Kategorien konnte EDV-Hilfe in Anspruch ge­nommen werden. Für die Aufbereitung dieser Daten danke ich Hermann Cölfen.

[52]        Vgl. zur genaueren Begründung S. Jäger/M. Jäger 1991.

[53]        Diese Diskussion hat zwar begonnen. Man vergleiche etwa die in Leiprecht 1991, Kalpaka/Räthzel 1990, Cohen 1990 oder Auernheimer 1990 unternommenen Vor­stöße. Wir gehen aber davon aus, daß sprachwissenschaftlich-diskursanalytische Beiträge hierzu weitere Anregungen ermöglichen können.

[54]        Die erforderliche Basisfinanzierung wurde durch das Duisburger Institut für Sprach- und Sozialwissenschaften (DISS) und durch private Mittel abgedeckt. Be­son­ders erwähnen möchte ich die Mitglieder des Förderkreises des DISS, die uns eine kontinuierliche Arbeit überhaupt erst ermöglicht haben.