Die extreme Rechte im Russland-Ukraine-Krieg

Von Lucius Teidelbaum Die russische Invasion in die Ukraine hat die extreme Rechte in Europa und Deutschland überrascht. In Deutschland war bis zum Kriegsbeginn der größte Teil der extremen Rechten eher Pro-Putin-Russland ausgerichtet. Das hatte unterschiedliche Gründe: Ihre antiwestliche Haltung und eine Bewunderung für den Autokraten Putin, der als Vertreter ultrakonservativer Werte gilt. Tatsächlich hat er ja z.B. Gesetze gegen „homosexuelle Propaganda“ erlassen. Im Interview mit dem neonazistischen FSN-TV am 3. März 2022 nannte der NPD-Vorsitzende Frank Franz Russland ein „autoritäres Bollwerk gegen den dekadenten Westen“. Aus dem Kreml und seinem Oligarchen-Umfeld gab es immer wieder Geld (z.B. die Kredite für den „Front National“ in Frankreich, 2014) und Anerkennung für die extreme Rechte aus anderen Ländern. AfD-Abgeordnete traten auf der Krim, in den Donbass-Separatisten-Gebieten oder in Russland selbst als „Wahlbeobachter“ auf oder wurden…

WeiterlesenDie extreme Rechte im Russland-Ukraine-Krieg

Belarus: Widerstand gegen den russischen Angriffskrieg

Von Guido Arnold Das Regime von Alexander Lukaschenko hat sich seit Februar zum Komplizen der russischen Aggression gegen die Ukraine gemacht und sein Territorium als Aufmarschgebiet für die Invasion zur Verfügung gestellt. Das belarussische Militär selbst ist jedoch (noch) nicht direkt in aktive Kampfhandlungen eingestiegen. Die wichtigste Kriegsabschreckung – eine nahezu völlige Ablehnung der belarussischen Gesellschaft gegenüber einer Beteiligung am Krieg. Die prägnanteste Form der weißrussischen Antikriegsbewegung sind massive Widerstandsaktionen gegen das Eisenbahnnetz des Landes. Als Reaktion auf die russische Invasion in der Ukraine schwappte eine Welle der Sabotage über das Land: Kriegsgegnerinnen versuchten, die Eisenbahnen unbrauchbar zu machen, um zu verhindern, dass russisches Militärgerät durch belarussisches Gebiet fährt. Nach Angaben des belarussischen Innenministeriums wurden bereits 80 Sabotageakte verübt. Unabhängige Medien bezeichneten diese Kampagne als neuen „Eisenbahnkrieg“ – die Bezeichnung für belarussische Partisanenangriffe…

WeiterlesenBelarus: Widerstand gegen den russischen Angriffskrieg

Philosophische Aufarbeitung: Ethik und Ethiken im Nationalsozialismus

Konitzer, Werner/Bach, Johanna/Palme, David/Balzer, Jonas (Hg.) 2020 Vermeintliche Gründe. Ethik und Ethiken im Nationalsozialismus Frankfurt/M. und New York: Campus, 488 Seiten, 39,95 Euro. ISBN: 978-3-59351-031-6 Rezension von Stefan Vennmann Dass die Frage nach einer genuin nationalsozialistischen Moral und Ethik seit einigen Jahren ein umkämpftes Forschungsfeld bietet, zeigte meine im vorigen DISS-Journal erschienene Rezension zu Lothar Fritzes problematischem Buch Die Moral der Nationalsozialisten. Gegen die relativierenden Versuche dieses Buches bieten die im Folgenden vorgestellten Untersuchungen zu Vermeintlichen Gründe. Ethik und Ethiken des Nationalsozialismus eine andere, völlig abweichende Perspektive. Die Studie folgt den ebenfalls am Fritz Bauer Institut in Frankfurt/M. entstandenen Bänden zur Moralisierung des Rechts (2014) und ‚Arbeit‘, ‚Volk‘, ‚Gemeinschaft‘ (2016). Letzterer trägt mit Ethik und Ethiken des Nationalsozialismus sogar den identischen Untertitel der vorliegenden Studie. Diese ist kein klassischer Sammelband, sondern vereint neben…

WeiterlesenPhilosophische Aufarbeitung: Ethik und Ethiken im Nationalsozialismus

Liberale Traditionen und Faschismus

Ein israelischer Historiker thematisiert einen brisanten Zusammenhang Ishay Landa Der Lehrling und sein Meister Liberale Tradition und Faschismus. Berlin: Karl Dietz Verlag, 407 Seiten, 20 Euro ISBN: 978-3-320-02383-6 Rezension von Helmut Kellershohn Als Herbert Marcuse 1934 in der Zeitschrift für Sozialforschung seinen Artikel Der Kampf gegen den Liberalismus in der totalitären Staatsauffassung veröffentlichte, legte er seinen Ausführungen drei Überlegungen zugrunde. Erstens ging er von einer „Kontinuitätsthese“ (Heinz Gess) aus, der zufolge „die Wendung vom liberalistischen zum total-autoritären Staat sich auf dem Boden derselben Gesellschaftsordnung“ vollzogen habe und der Faschismus trotz heftigster Kritik am Liberalismus wesentliche Elemente der kapitalistischen Gesellschaftsordnung bejahe. „Der total autoritäre Staat“ verkörpere nur „die dem monopolistischen Stadium des Kapitalismus entsprechende Theorie und Organisation der Gesellschaft“. Zweitens beruhe diese ‚Theorie’ darauf, dass aus dem Weltbild des Liberalismus „entscheidende Momente aufgegriffen und…

WeiterlesenLiberale Traditionen und Faschismus

Die politische Theorie des Neoliberalismus

Thomas Biebricher: Die politische Theorie des Neoliberalismus Suhrkamp-Verlag, Frankfurt a.M. 2021 345 Seiten, 22 Euro ISBN 978-3-518-29926-5 Rezension von Helmut Kellershohn Über den „Neoliberalismus“ ist bereits viel geschrieben worden. Thomas Biebricher hat mit seiner Habilitationsschrift, die bereits 2018 auf Englisch und nun bei Suhrkamp (2021) auf Deutsch erschienen ist, ein fulminantes Werk hinzugefügt. Der Titel ist auf den ersten Blick insofern missverständlich, als es ihm nicht nur um die ideengeschichtliche Rekonstruktion einer politischen Theorie geht, sondern auch um die Wirkmächtigkeit neoliberaler Ideen im Rahmen realpolitischer Prozesse, konkret im Rahmen der Konstitution und Entwicklung der Europäischen Union. Die Zweiteilung seines Werkes in einen ideengeschichtlichen und realhistorischen (zeitgeschichtlichen) Teil macht dies deutlich. In der Einleitung kommt Biebricher zunächst auf den merkwürdigen Umstand zu sprechen, dass der Begriff „Neoliberalismus“ bzw. die Thematisierung dessen, was unter „Neoliberalismus“…

WeiterlesenDie politische Theorie des Neoliberalismus

„Mythos Mitte“ und die Klassenfrage

Kadritzke, Ulf 2019 Jenseits von „Mitte und Maß“. Eine Vergegenwärtigung der Klassenfrage, in: Vester, Michael/ Kadritzke, Ulf/ Graf, Jakob Klassen – Fraktionen – Milieus Beiträge zur Klassenanalyse (1) Manuskripte – Neue Folge der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Berlin, 68-88. Rezension von Wolfgang Kastrup Ulf Kadritzke, in diesem Jahr verstorbener Soziologe, war bis 2008 Professor an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. Sein Text Jenseits von „Mitte und Maß“. Eine Vergegenwärtigung der Klassenfrage bezeichnet unsere heutige Gesellschaft als Klassengesellschaft und analysiert im Besonderen die Klasse der Lohnabhängigen. Er kritisiert solche Ansätze und politische Ideologien, die den Klassenbegriff und die Analyse von Klassenfraktionen für obsolet halten. „Was tritt an ihre Stelle? Theoretisch die Kategorie der sozialen Schichtung, empirisch eine mehrdimensional quantifizierende Ungleichheitsforschung und politisch die einseitige Sorge um die ‚Mitte der Gesellschaft.‘“ (68) Für ihn ist der…

Weiterlesen„Mythos Mitte“ und die Klassenfrage

Arbeiter*innen und ihre Sympathien für die radikale Rechte

Dörre, Klaus 2020 In der Warteschlange Arbeiter*innen und die radikale Rechte Münster, Verlag Westfälisches Dampfboot 355 Seiten, 30 Euro ISBN 978-3-89691-048-6 Rezension von Wolfgang Kastrup Weshalb haben Arbeiter*innen Sympathien für die radikale Rechte? Dieser Frage geht Klaus Dörre, Professor für Arbeits-, Industrie- und Wirtschaftssoziologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, in seinem Buch In der Warteschlange, erschienen 2020, nach. Dafür präsentiert er Ergebnisse, die aus mehr als drei Jahrzehnten empirischer Forschungen zu rechtspopulistischen und rechtsextremen Einstellungen unter Lohnabhängigen hervorgegangen sind. Die Analyse bezieht sich im Wesentlichen auf „Industrie- und Produktionsarbeiter aus dem verarbeitenden Gewerbe“, aber auch andere „Fraktionen lohnabhängiger Klassen“ geraten in den Blickwinkel. (13) Die Texte dokumentieren eine „allmähliche Radikalisierung einer Tiefengeschichte, die, jedenfalls in meinen Forschungen, im gewerkschaftsnahen Arbeitermilieu der alten Bundesrepublik beginnt und mit dem Aufstieg der AfD zur stärksten Oppositionspartei im…

WeiterlesenArbeiter*innen und ihre Sympathien für die radikale Rechte

Von „America First“ zu „America Second?“

Die USA, China und der Weltmarkt Rezension von Wolfgang Kastrup Scherrer, Christoph 2021: America Second? Die USA, China und der Weltmarkt, Berlin, 132 Seiten, Verlag Bertz + Fischer, 8,00 Euro, ISBN 978-3-86505-767-9 Christoph Scherrer, Professor für Globalisierung und Politik an der Universität Kassel, hat mit America Second? Die USA, China und der Weltmarkt ein „Büchlein“, so seine Formulierung, geschrieben, dass aktuell im Bertz + Fischer Verlag erschienen ist. Thema ist die Außenwirtschaftspolitik vor dem Hintergrund des Konflikts, der die Weltpolitik in den kommenden Jahren wie kein anderer prägen wird, nämlich „die ökonomische und strategische Rivalität zwischen den USA und der Volksrepublik China.“ (7) Von der verlängerten Werkbank insbesondere für US-Unternehmen hat sich China in den letzten zehn Jahren durch eine wirkungsvolle Industrie- und Technologiepolitik zu einem entscheidenden wirtschaftlichen und militärischen Konkurrenten der USA…

WeiterlesenVon „America First“ zu „America Second?“

Moria. System. Zeugen.

Ein Bildband über das Flüchtlingslager Moria Rezension von Benno Nothardt Martin Gerner: Moria. System. Zeugen. Flüchtlinge, Einheimische und Helfer in Zeitzeugenbegegnungen, Köln: Böhlau, 2021, 168 Seiten, 89 Fotos; 25 Euro. ISBN: 978-3-412-52389-3 Refugees The EU is a virus. It enters the life of a refugee. Scans his future. Transfers him to deportation, which is equal to death. Edits his mind and deletes his smile. So please stay away from the EU. Stay at your own home and accept death. Send me the address of the EU. I am a professional antivirus, full version registered 2016. Shamshaid Jutt, Moria 2016 (Moria. System. Zeugen. S. 57) Wenn Flüchtlinge im hegemonialen Fluchtdiskurs überhaupt zu Wort kommen, dann als Zeug*innen ihres Leids, nicht jedoch als vollwertige Subjekte, deren Kritik und Forderungen Platz eingeräumt wird.1 In seinem Bildband über…

WeiterlesenMoria. System. Zeugen.

Tragische Einzelfälle?

Wie Medien über Gewalt gegen Frauen berichten. Rezension von Louisa Brand Christine E. Meltzer: Tragische Einzelfälle? Wie Medien über Gewalt gegen Frauen berichten. Frankfurt a.M.: Otto Brenner Stiftung, 2021. Online verfügbar: https://www.otto-brenner-stiftung.de/fileadmin/user_data/stiftung/02_Wissenschaftsportal/03_Publikationen/AP47_Tragische_Einzelfaelle.pdf Die Kommunikationswissenschaftlerin Christine E. Meltzer hat sich für die Otto Brenner Stiftung systematisch damit beschäftigt, wie die Medien über Gewalt an Frauen berichten und dafür die Berichterstattung von Januar 2015 bis Juni 2019 ausgewertet. Mit einer quantitativen Inhaltsanalyse hat sie sich auf insgesamt 3.489 Artikel aus den Printmedien bezogen. Einen breiten Querschnitt boten drei Boulevardzeitschriften sowie zehn regionale und vier überregionale Zeitungen. Um Muster in der Berichterstattung aufzuzeigen, bezog sie sich bei der Analyse auf Kernelemente wie die Art des Verbrechens, Attribute von Opfern und Tätern, deren Nationalität und den Fokus der Berichterstattung. Ihr Hauptaugenmerk galt physischer Gewalt, deren Androhung und…

WeiterlesenTragische Einzelfälle?

Inhalts-Ende

Es existieren keine weiteren Seiten