Carola Rackete und das Leid der Geflüchteten

Der deutsche Mediendiskurs im Juni & Juli 2019 Von Anna-Maria Mayer, Judith Friede, Fabian Marx, Benno Nothardt, Milan Slat, Christian Sydow “Everyone has the right to freedom of movement and residence within the borders of each state.” (United Nations 1948) Plakat auf einer Demonstration am 06.07.2020 in Duisburg Obwohl Freizügigkeit und Niederlassungsfreiheit in der UN-Menschenrechtscharta festgehalten sind, scheint es einstweilen so, als ob dies Staaten nicht immer bewusst sei. Europäische Staaten, darunter auch Deutschland, nehmen häufig eine abwehrende Haltung gegenüber Flucht und Migration ein. Diese gipfelt mitunter in Diskussionen um die Aussetzung des Menschenrechts auf Asyl1 oder um die Frage, ob Seenotrettung stattfinden sollte oder nicht2. Die lebendige Humanität im Sommer 2015 währte nur kurz. Es ließ sich eine Verschiebung von einer „Willkommenskultur zur Notstandsstimmung“ (Jäger & Wamper 2017) feststellen. In dieser rückten…

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Extremismus und Popkultur

Eine kritische Analyse der popkulturellen Virulenz der Extremismustheorie am Beispiel des Tatorts Dortmund „Heile Welt“ vom 21. Februar 2021 von Lisa Wessel „Tatort“ erfreut sich als älteste deutsche kontinuierlich ausgestrahlte Kriminalserie mit einem durchschnittlichen Marktanteil der sonntäglichen Erstausstrahlungen von 24,4 % (Media Perspektiven 2020) auch aktuell ungebrochener Beliebtheit. In der Produktion geht es auch immer wieder darum, gesellschaftlich brisante Themen aufzugreifen und im Rahmen einer Krimihandlung zu verarbeiten. Der Dortmunder Tatort „Heile Welt“, der am Sonntag, den 21.02.2021 um 20.15 Uhr ausgestrahlt wurde, versucht, sich Diskursen um rassistische Polizeigewalt, Extremismus und ‚cancel culture‘ anzunähern. Im Folgenden soll die Darstellung der verschiedenen Akteur*innen, sowohl kollektiv als auch individuell, kritisch betrachtet werden. Es steht zunächst ein Mordfall im Vordergrund: Im Keller eines Hochhauskomplexes wird die Leiche einer jungen, weißen Frau, Anna Slomka, gefunden. Im Verlauf…

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Das Verhältnis von Staat und gesellschaftlichen Klassen in der Theorie von Nicos Poulantzas

von Wolfgang Kastrup In der letzten Ausgabe des DISS-Journals, Nr. 40 vom November 2020, habe ich in dem Artikel „Klasse und Klassenkampf – längst überholte Begriffe?“ Bezug genommen auf die aktuelle Diskussion über dieses Thema und damit auch auf die Frage, ob der Klassenbegriff in der Marxschen Tradition überhaupt noch Gültigkeit hat. In dieser Debatte ergibt sich auch die Problematik, wie das Verhältnis von Staat und gesellschaftlichen Klassen begriffen werden muss. Karl Marx selbst hat bekanntermaßen keine Staatstheorie vorgelegt. Bevor ich diesbezüglich auf die besondere Bedeutung der Theorie des griechisch-französischen Wissenschaftlers Nicos Poulantzas (1936-1979) eingehe, möchte ich Bezug nehmen auf die hierzu grundlegende Fragestellung, die der sowjetische Rechtstheoretiker Eugen Paschukanis (1891-1937) aufwarf: „[…] warum bleibt die Klassenherrschaft nicht das, was sie ist, das heißt die faktische Unterwerfung eines Teils der Bevölkerung unter die…

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Standortnationalismus – Völkischer Nationalismus – Autoritärer Staat

Anmerkungen zum neuen Wahlprogramm der AfD Von Helmut Kellershohn   Einleitung Die AfD ist in ihrem neuen Wahlprogramm, das in seiner Endfassung noch nicht vorliegt,1 durchdrungen von der Idee, Deutschland bzw. die deutsche Wirtschaft auf einen „normalen Entwicklungspfad zurück[zu]führen“. Renormalisierung bedeutet für die AfD zum einen Renationalisierung, d.h. 1. mittelfristig die Rückentwicklung der Europäischen Union von einem „EU-Zentralstaat“ oder „Bundesstaat“ zu einem „Staatenbund souveräner Nationalstaaten“ (18) bzw. zu einem „Europa der Vaterländer“2 und 2. die Aufkündigung des „untergehenden Euro-Systems“ durch die „Wiedereinführung“ (18) nationaler Währungen („ggf. unter paralleler Beibehaltung des Euro oder einer ECU-ähnlichen flexibleren Verrechnungseinheit“).3 Renormalisierung bedeutet zum anderen 3. auf nationaler Ebene eine „marktwirtschaftliche Wirtschaftspolitik“ (16) durchzusetzen, die auf folgenden Grundsätzen beruht: „Schutz des Eigentums, Vertragsfreiheit, die Einheit von Handeln und Haftung, Berufsfreiheit, eine wettbewerbliche Wirtschaftsordnung“ (16). Unverkennbar handelt es sich…

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»Deutschland – aber normal« (AfD)

Was heißt hier »aber«? von Jürgen Link In Corona-Zeiten, in denen eine Massenstimmung geradezu erschütternder ›Sehnsucht nach Normalität‹ weit verbreitet zu sein scheint, versucht die AfD, dieser Massenstimmung mit ihrer Wahlkampfparole eine eindeutige Richtung zu geben. Diese Richtung steckt offenbar in dem alles andere als ›deutschen Klartext‹ redenden Wörtchen »aber«. Schaut man in dem sehr umfangreichen Programm nach, so findet man »normal« fast gar nicht – außer in Zeile 304 des Entwurfs, wo die AfD verspricht, die deutsche »Volkswirtschaft auf einen normalen Entwicklungspfad zurückzuführen«. Das ist der eine von zwei kleinsten gemeinsamen Nennern jedes Normalismus: die Basiskurve des Normalwachstums (neben der der Normalverteilung). Normalwachstum wollen selbstverständlich alle (außer dissidenten Wachstumskritikern). Das »aber« muss sich also suggestiv auf Forderungen beziehen, die sich bloß implizit als »normal« präsentieren. Das wiederum bedeutet, dass »normal« als beliebig…

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Erweiterung extrem rechten Resonanzraums oder neue Form der „Delegitimierung des Staates“?

Die Bewegung der Pandemie-Leugner*innen von Alexander Häusler Über das, was unter den Schlagworten Querdenken bzw. Corona-Proteste im Kontext des Ausnahmezustands in Pandemiezeiten seit dem letzten Frühjahr zunehmend flächendeckend in Erscheinung trat, herrscht Uneinigkeit in dessen Bewertung: Antifaschistische Auswertungen von Protestbeobachtungen und erste wissenschaftliche Studien verweisen auf neue Protestdynamiken im Kontext der Gesundheitskrise, in denen Wissenschaftsfeindlichkeit, Verschwörungsdenken, Antisemitismus und autoritär-rebellische Demokratiefeindlichkeit zu rechten Radikalisierungstendenzen und einer Erweiterung des Resonanzraums des Rechtsaußenspektrums geführt haben. Der Inlandsgeheimdienst hingegen sieht in diesem Protestgeschehen einen Ausdruck einer „verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates“. Hierzu folgend Ergebnisse aus einem Forschungsprojekt verknüpft mit Einschätzungen zur politischen Einordnung dieser Bewegung.1 Zu Beginn der Proteste gegen die staatlichen Maßnahmen zur Pandemieeindämmung herrschte noch Unklarheit über die politische Verortbarkeit der Protestakteur*innen. Mittlerweise weisen Berichterstattungen über Protestbeobachtungen und Auswertungen des Protestgeschehen in vielerlei Hinsicht deutlich auf…

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Lernen im Corona-Modus

Eine Herausforderung für Bildung, multiprofessionelle Teams, Schüler:innen und Eltern/Erziehungsberechtigte Von Gaby Cleve Am 13. März 2021 verkündete die NRW-Bildungsministerium Yvonne Gebauer, pünktlich zum Wochenende gegen 15 Uhr, den ersten Schul-Lockdown für das Land Nordrhein-Westfalen – Startschuss zu einer Reihe kurzfristiger Maßnahmen. Die Schulen konnten, sollten und/oder mussten vom sogenannten Präsenzunterricht in irgendeine Form des digitalen Unterrichts, der auch Homeschooling oder Online-Unterricht heißt, wechseln. Zwischendurch dann auch Hybridunterricht, Wechselunterricht usw. usf. Mit dem ersten Lockdown und im Zuge dessen einiger weiterer wurde ziemlich bald deutlich, wie sehr die Schere der Bildungsgerechtigkeit in NRW erst einmal nur hinsichtlich des basalen Inventars auseinanderklafft: Es gibt Schulen mit guter digitaler Ausstattung, von WLan über Dienstgeräte bis hin zur Schüler:innenversorgung mit iPads oder ähnlichen Geräten. Es gibt Schulen, deren digitale Ausstattung in den Kinderschuhen steckt: kein WLAN, kaum…

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Strukturmerkmale des Gesundheitssystems und die COVID 19 Pandemie

von Ulrike Höhmann Ich will den Kapitalismus lieben, doch es gelingt mir nicht (Liedtext von Funny van Dannen) 1. Erfahrungswelt Pandemie Die Corona Pandemie hat das deutsche Gesundheitssystem unvorbereitet getroffen und dessen Stärken und Schwächen offenbart. Eine wirksame Bekämpfung der Pandemie erfordert neue Problemlösungen. Zeitdruck verschärft die Abstimmungs- und Kooperationsdefizite der in gewinnwirtschaftlichen Eigenlogiken nebeneinander her arbeitenden Organisationen und Berufe. Seit Ende März 2020 befindet sich die Gesellschaft im „Realexperiment“. Für die Entwicklung und Erprobung neuer Problemlösungen stehen keine festgezurrten Regeln oder Schablonen zur Verfügung, so wird „auf Sicht gefahren“. Mühsam werden im laufenden Prozess neue Strategien erarbeitet. In der Schocksituation im März 2020 erhielt das Gesundheitssystem die Führungsrolle bei der Unsicherheitsbekämpfung. Vorrangiges Ziel war, die Infektionsausbreitung zu reduzieren und möglichst viele Leben zu retten. Die Verfügbarkeit von Intensivbetten wurde zum Steuerungskriterium. Um…

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Impfprivilegien – Egoismus, der krank macht

von Guido Arnold Am 9. April 2021 widersprach der Ethikrat dem Gesundheitsminister bei seinem Vorhaben, bereits Geimpften ‚Impfprivilegien‘ zuzugestehen. „Das wäre frühestens in Ordnung, wenn alle die Chance hatten, sich impfen zu lassen oder alternativ mithilfe von Tests Freiheiten zurückzubekommen“, so Sigrid Graumann, Mitglied des Deutschen Ethikrates. Gesundheitsministerium, Jurist:innen und Wirtschaftsvertreter:innen kontern, es gehe nicht um Privilegien, sondern um das Gewähren von Rechten (für einige), die zuvor (allen) genommen wurden. Es sei also keine privilegierte Sonderbehandlung, sondern die Beendigung einer Einschränkung, die für die derzeitige Minderheit der Geimpften nicht mehr länger virologisch begründbar wäre. Die wissenschaftliche Basis für diese Einschätzung ist nicht einwandfrei. Doch es gibt offenkundig noch eine andere Ebene als die individuelle, virologische Ansteckungsfähigkeit: „Wenn bei 11 Prozent Geimpften darüber diskutiert wird, dass diejenigen, die geimpft sind, Dinge tun dürfen, die…

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Vorwort zum DISS-Journal 41

Aktuell scheint ein Aufatmen durch die Republik zu gehen, die sog. „Bundes-Notbremse“ vorerst in weite Entfernung gerückt zu sein. Also Grund genug, wieder einmal innezuhalten und über einige Aspekte der „Corona-Krise“ nachzudenken. Klaus Dörre hat in einem Artikel im Berliner Journal für Soziologie „Die Corona-Pandemie – eine Katastrophe mit Sprengkraft“ den Begriff der „ökonomisch-ökologischen Zangenkrise“ geprägt. Gemeint ist damit das Zusammentreffen zweier Krisenprozesse, zum einen einer schwachen Akkumulationsdynamik des Kapitals, zum anderen einer „epochalen Krise der Gesellschafts-Natur-Beziehungen“. Im Kreuzungspunkt einer solchen kritischen Konstellation, die durch die Pandemie bzw. durch deren in Zukunft zu bewältigenden Folgelasten nochmals verschärft worden sei, stellt sich die Frage, welchen Entwicklungspfad das kapitalistische Weltsystem zukünftig einschlagen wird. Mit welchen politischen und ökonomischen Mitteln soll die „Zangenkrise“ bearbeitet werden? Der Artikel von Jürgen Link in diesem Heft widmet sich dieser…

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