Sozialstaat von rechts

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Identitäre Solidarität und exkludierende Sozialstaatlichkeit

Von Martin Hauff

Die AfD tritt in ihrer politischen Praxis im Bundestag mit neoliberalen und sozialstaatskritischen Positionen1 auf. Zugleich bestehen innerhalb der AfD Flügelkämpfe, die sich vor allem um Fragen nach einer wirtschafts- und sozialpolitischen Positionierung der Partei konstituieren.2 Dabei ist der grundlegende Konflikt zwischen einer autoritär-liberalen und einer völkisch national-sozialen Richtung auszumachen.3 Das national-soziale Hegemonieprojekt wird nicht nur von Björn Höcke und seinen Mitstreitern in der AfD verbreitet, sondern erfährt zugleich durch Publikationen und Vorträgen aus dem sogenannten Vorfeld der Partei um Götz Kubitschek eine theoretische Rechtfertigung. Vor allem Benedikt Kaiser hat sich in Verwendung des Schlagwortes „Solidarischer Patriotismus“ um eine systematische Ausarbeitung dieses Ansatzes bemüht.

In Abgrenzung zum autoritär-liberalen Hegemonieprojekt und dem in der AfD verbreiteten rechten Libertarismus erscheint der solidarische Patriotismus als ein Ansatz, der den Sozialstaat zu verteidigen scheint. Doch der solidarische Patriotismus ist durch mehrere exkludierende Mechanismen charakterisiert. Er zeichnet sich nicht nur durch einen Sozialchauvismus aus, sondern auch durch das, was in der Forschung als Produzerismus4 bezeichnet wird, also der Betonung des Leistungsprinzips in der Weise, dass dies den Ausschluss von angeblich nicht Leistungswilligen und denen, die nicht ins System des Sozialstaates eingezahlt haben, zur Folge hat. Dadurch erhält das rechte Sozialstaatskonzept eine dualistische Fassung, indem es Protektionismus gegenüber denen, die es verdienen, und Neoliberalismus gegen denen, die es nicht verdienen, ausübt.5

In diesem Aufsatz soll der Frage nachgegangen werden, inwiefern der solidarische Patriotismus durch Sozialchauvinismus und Produktivismus charakterisiert ist und wie dies bei dessen Vertretern begründet und gerechtfertigt wird. Bei dieser Rekonstruktion zeigt sich, dass sie zum einen einem identitären Solidaritätsbegriff und zum anderen einem autoritären Leistungsprinzip folgen. Dabei ignorieren sie, dass es auch alternative Solidaritätskonzepte gibt.

In diesem Aufsatz soll daher, nachdem das Konzept des solidarischen Patriotismus rekonstruiert worden ist (1), der identitäre Solidaritätsbegriff herausgearbeitet und diesem alternative Solidaritätsbegriffe entgegengestellt werden (2). Danach soll das mit dem Solidaritätsbegriff der Rechten verflochtene autoritäre bzw. „preußische“ Leistungsprinzip dargestellt werden (3). Aus diesen beiden Grundprinzipien leitet sich ein bestimmtes Sozialstaatskonzept ab, das als spezifisch rechts charakterisiert werden kann (4).

1) Solidarischer Patriotismus

Solidarischer Patriotismus ist ein Schlagwort, das von Björn Höcke und Maximilian Krah explizit verwendet und von Benedikt Kaiser am ausführlichsten theoretisch ausgearbeitet worden ist. Höcke meint mit solidarischem Patriotismus6 eine Politik, die sich auszeichnet durch die „politische Forderung gegen Lohndumping, den Abbau sozialer Standards und die Benachteiligung der deutschen Hilfs- und Sozialbedürftigen gegenüber den Migranten, sowie unsere grundsätzliche Kritik am Raubtierkapitalismus und Globalisierung“.7 Doch weiter expliziert Höcke seine sozialpolitischen Überlegungen nicht.8

Maximilian Krah erwähnt das Schlagwort an einer Stelle in seinem Buch „Politik von rechts“ im Zusammenhang mit seiner Kritik am Sozialstaat, der eher Ausländer als Deutsche bevorteilen würde. „Rechte Politik will deshalb solidarischen Patriotismus statt eines administrativen Sozialstaats.“9 Zugleich betont Krah die soziale Verantwortung der Politik: „Die politische Rechte darf nicht unsozial sein, der Ausgleich von Lebenschancen, Teilhabe und Lebensrisiken ist ein rechtes Anliegen.“10 Zentral bei Krah ist die Idee einer sozialen und lokal verwurzelten Marktwirtschaft. „Es gibt die Marktwirtschaft der kleinen und mittleren Unternehmen, der Unternehmer und Familien, die lokal verwurzelt sind und deren Erfolg daher auch der lokalen Gemeinschaft dient. Und es gibt den globalen Kapitalismus einer kleinen Oligarchie, die zur eigenen Gewinnorientierung und Machtmaximierung die traditionelle Ordnung zerstören will, weil sie ihrem Streben Grenzen setzt.“11

Benedikt Kaiser ist derjenige im Kreis um Götz Kubitschek, der sich am eingehendsten mit einer theoretischen Rechtfertigung eines dezidiert rechten sozialpolitischen Programms beschäftigt hat. 2020 hat er seine Überlegungen im Verlag Antónios in dem Buch „Solidarischer Patriotismus“ zusammengefasst, das den Untertitel „Die soziale Frage von rechts“ trägt. Bemerkenswert ist dabei, dass Kaiser sich sehr bemüht, überhaupt zu zeigen, dass die soziale Frage relevant ist und ein Problem darstellt, dem sich die politische Rechte widmen müsse. Kaiser fühlt sich genötigt, sich an der autoritär-liberalen Richtung abzuarbeiten. Dies sei nötig, da seit den 1980ern die Rechte in Deutschland durch den neoliberalen Ideenkomplex und eine „volksferne Marktideologie“ geprägt sei.12

Die Relevanz der sozialen Frage rechtfertigt Kaiser in zwei Schritten. Zum einen zeigt Kaiser in einem historischen Abriss, dass die politische Rechte in Deutschland nicht immer autoritär-liberal geprägt war, sondern dass rechte Kapitalismuskritik im 19. Jahrhundert, bei Adolph Wagner, und in der Zwischenkriegszeit, bei Werner Sombart und anderen, eine zentrale Rolle gespielt hatte.13

Zum zweiten zeigt Kaiser, dass sich die politische Rechte nicht nur kontingenterweise mit der sozialen Frage beschäftigt hatte, sondern dass dies vor allem inhaltlich begründet war. Wenn rechte Politik die Bewahrung von Tradition, Volk und Nation zum Ziel habe, läge darin schon ein kritischer Impuls gegen den Marktliberalismus und den kulturellen Individualismus begründet. Die immer größer werdende Schere zwischen Arm und Reich bedrohe den sozialen Frieden und den Zusammenhalt der Volksgemeinschaft. Außerdem würde der Homo oeconomicus ein falsches Menschenbild darstellen, da dieses die Eingebundenheit des Menschen in Kultur und Volk ignoriere.14 An dieser Stelle kritisiert Kaiser explizit das AfD-Programm. „Das unverändert bestehende AfD-Programm will in vielerlei Hinsicht nur die materiellen Lebensbedingungen des Homo oeconomicus verbessern, greift aber nicht dessen falsche, auch in immaterielle hineinwirkende Logik an, die den Menschen eben konsequent aus tradierten Verhältnissen ‚emanzipiert‘ und damit als atomisiertes Individuum den Markt überstellt.“15

Kaiser sieht sogar eine ideologische Parallele zwischen – wie er sie nennt – liberalen Rechten und der liberalen Linken. Er fordert eine doppelte Frontstellung gegen die Illusion des globalen Marktes und des Kosmopolitismus.16 Daraus entwickelt er eine Position, die er selbst in der Tradition der sogenannten Querfront verortet.17 „‘Solidarischer Patriotismus‘ kann als ‚rechter‘ Ansatz ‚linke‘ Elemente integrieren, wo es zielführend erscheint. Sein Ziel ist klar: ‚Solidarischer Patriotismus‘ strebt nach einem konstruktiven, zukunftsfähigen Verständnis einer gehegten sozialen Marktwirtschaft im Zeichen einer solidarischen und patriotisch rückgebundenen Leistungsgemeinschaft.“18 Kaiser verwendet mit „Leistungsgemeinschaft“ ein Schlagwort, das 1934 von der Deutschen Arbeitsfront verwendet worden ist.

In der Tradition rechter Kapitalismuskritik stehend ist Kaiser kritisch einer zentralen Planwirtschaft gegenüber. Die Marktwirtschaft soll aber zugleich sittlich eingehegt und soziale Ungerechtigkeiten reduziert werden. Dabei spielt der Staat eine wesentliche Rolle. Kaiser spricht von einem Primat der Politik19 und auch bei Krah fällt das Schlagwort vom Primat des Politischen.20 Die Politik soll eine Verantwortung gegenüber kleinen und großen Unternehmen übernehmen: „Kleine frei gewähren lassen, die Mitte beobachten (und nötigenfalls intervenieren), die Großen kontrollieren (durch Staatsbeteiligungen und korporatistische Modelle).“21

2) Solidarität und Identität

Solidarischer Patriotismus bezeichnet die Idee einer solidarisch und patriotisch eingehegten Marktwirtschaft. Der Solidaritätsbegriff steht also im Zentrum dieser Konzeption. Was verstehen die Vertreter der Neuen Rechten unter Solidarität? In einem Aufsatz in der Zeitschrift „Sezession“ behauptet Kaiser, dass Solidarität und Identität untrennbar zusammengehörten.22 Mit Identität meint er eine kollektive Identität einer konkreten Gemeinschaft, die die Grundlage für die Entwicklung von Solidarität darstellen würde.

Um seine Annahme zu begründen, bezieht sich Kaiser auf einen Aufsatz des Philosophen Kurt Bayertz. Dieser grenzt den Begriff der Solidarität mithilfe von zwei Kriterien von einer universellen Moral ab. Zum einen ist Solidarität klassischerweise auf eine konkrete Solidargemeinschaft beschränkt und ihr Geltungsbereich ist nicht – wie beim Konzept der Menschenwürde – auf die gesamte Menschheit ausgeweitet.23 Zum anderen sind mit der Solidarität positive Verpflichtungen und weniger individuelle Schutzrechte mit gemeint. Bei Bayertz sind dies aber heuristische Abgrenzungskriterien zwischen verschiedenen Konzepten der Moralphilosophie. Es spräche nichts dagegen, das Konzept der Solidarität zu erweitern oder zu ergänzen.

Kaiser stattdessen substanzialisiert diesen Solidaritätsbegriff. Aus Bayertz problemorientierter Reflexion über den Solidaritätsbegriff nimmt Kaiser ein Zitat heraus: „Kurtz Bayertz hat dies auf den Punkt gebracht, als er definierte, daß ‚wir unter ‚Solidarität‘ ein wechselseitiges Einstehen von Personen füreinander (verstehen), die durch spezifische Gemeinsamkeiten miteinander verbunden sind. Man ist ‚solidarisch‘ mit Menschen, deren Geschichte, deren Überzeugungen oder Interessen man teilt – im Unterschied zu den Menschen, deren Geschichte, Überzeugungen oder Interessen man nicht teilt‘. ‚Wir benutzen‘, so der Münsteraner Philosoph weiter in unserem Sinne, ‚den Begriff der Solidarität daher in einem partikularen und exklusiven Sinne.‘ Denn es sei eine Tatsache, daß positive Hilfeleistungen, also Handlungen praktischer Solidarität, nicht immer aber doch meistens durch partikulare, besondere Bindungen motiviert sind.“24

Kaiser betont beim Solidaritätsbegriff die Rolle der Motivation, die bei positiven Hilfeleistungen noch stärker gefordert ist, und die Rolle einer Gemeinschaft, die Werte, Interessen und Überzeugungen teilt und die eine Quelle für diese Motivation sein kann. Kaiser geht sogar so weit – irritierenderweise in Kontrast zu seinen Polemiken gegen den Homo oeconomicus – Solidarität als ökonomisch verstandene Ressource zu verstehen: „Da aber jede Ressource naturgemäß beschränkt ist und nicht beliebig vermehrt werden kann, ergibt sich auch hier wiederum die Notwendigkeit, mit ihr so hauszuhalten, daß ihre Existenz organisch bleibt …“.25

Solidarität ist nach Kaiser also eine knappe Ressource, die von gemeinsamen Wertevorstellungen und der kollektiven Identität einer konkreten Gemeinschaft zehrt. Dabei handelt es sich um eine konservative Position, die – wie Bayertz zeigt – auch von einigen Vertretern des amerikanischen Kommunitarismus begründet wurde.26 Kaiser geht darüber hinaus, indem er die Solidargemeinschaft biologisiert und in ethnischen Kategorien fasst.

a) Ethnisierung der Solidargemeinschaft

Kaiser schreibt: „Solidarität trägt damit einen Doppelcharakter. Sie ist organisch und exklusiv; dadurch bedarf sie der Verortung in einer gegenständlichen Gemeinschaft und liegt zugleich in ihr begründet. […] Solidarität ist folglich ursächlich ein organischer Wir-Begriff – keineswegs aber eine linke Eingebung oder eine von der Realität losgetrennte politische Floskel.“27

Beim Versuch zu klären, was er mit Identität meint, bezieht sich Kaiser in seinem Aufsatz auf Henning Eichberg, der Anfang der 1970er den Begriff Ethnopluralismus geprägt hatte. Seinen Ursprung hat dieses Schlagwort in der metapolitischen Strategie, durch Nutzung des positiv konnotierten Begriffs „Pluralismus“ diesem eine Aura der Harmlosigkeit zu verleihen. Wie das einschlägige Buch von Martin Lichtmesz zu diesem Konzept zeigt, steht aber der Ethnopluralismus in der Tradition des klassischen Rassismus.

Lichtmesz versucht, das Konzept des Ethnopluralismus mit Bezug auf die pseudowissenschaftliche Strömung des sogenannten Rassenrealismus zu begründen. Zu dieser Strömung werden umstrittene Wissenschaftler, wie Hans Jürgen Eysenck, Arthur Jensen oder Richard Lynn gerechnet, die mithilfe von Zwillings-Studien den Zusammenhang zwischen Intelligenzquotienten und Menschengruppen nachzuweisen versucht hatten.28 Dem 2023 verstorbenen Rychard Lynn widmet die rechts-ökologische Zeitschrift „Die Kehre“ einen Nachruf.29 Diesen Forschungen, auf die sich ebenfalls Thilo Sarrazin bezieht, wurden erhebliche methodologische Mängel nachgewiesen.30 Prominent hatte der Evolutionsbiologe Stephen Jay Gould bei diesen Forschungen Statistiktricks dokumentiert.31

Der Ethnopluralismus konzipiert also Ethnien nicht nur kulturell, sondern ebenso biologisch. Doch wie die Deutsche Zoologische Gesellschaft 2019 in der „Jenaer Erklärung“ erklärt, ist das Konzept der Rasse selbst in der Biologie nicht haltbar, weil jegliche Grenzziehung zwischen angeblichen Rassen letztlich willkürlich ist.

Rechtes Denken zeichnet sich besonders dadurch aus, dass es den konstruktiven Charakter dieser Kategorien ignoriert und sie stattdessen naturalisiert. Maximilian Krah spricht davon, dass Volk eine Realität darstellen würde und dass das ethnische Substrat und die Homogenität von Völkern geschützt werden müssten.32 Und auch Kaiser betont, dass eine relative ethnische Homogenität eine rechte Konstante des Solidarischen Patriotismus darstelle.33

b) Solidarität unter Fremden

Die Ethnisierung einer Menschengruppe oder einer Solidargemeinschaft, wie es im Zusammenhang mit dem Ethnopluralismus geschieht, ist pseudowissenschaftlich und steht in der Tradition einer rassistischen Weltanschauung. Aber auch unabhängig von dieser Ethnisierung der Solidargemeinschaft kann man die konservative bzw. kommunitaristische These hinterfragen, dass Solidarität nur im Kontext einer kulturell verstandenen kollektiven Identität funktioniert.

Im Aufsatz von Bayertz, den Kaiser selektiv rezipiert, diskutiert der Autor das Konzept der organischen Solidarität von Emil Durkheim.34 Durkheim hatte in seinem Buch „Über soziale Arbeitsteilung“ von 1893 die These entwickelt, dass sich zwar im Zuge der Modernisierung traditionelle Werte und überkommene Solidargemeinschaften (mechanische Solidarität) auflösten, aber zugleich neue Quellen der Solidarität entstünden, die Durkheim organische Solidarität nennt. Moderne Gesellschaften sind durch funktionale Differenzierung charakterisiert. Ein funktionales Element in dieser arbeitsteiligen Gesellschaft kann aufgrund seiner Spezialisierung nicht alle Aufgaben übernehmen und ist gerade daher auf die Produkte und Ergebnisse anderer funktionaler Einheiten angewiesen. Durch diese Verflechtungen entsteht eine neue Form der Solidarität, die gerade nicht auf der Identität gemeinsamer Werte, sondern im Gegenteil auf die notwendige Verschiedenheit und Spezialisierung von anderen beruht.

Hauke Brunkhorst hatte diesen Gedanken von Durkheim weiterentwickelt und ihn als Solidarität unter Fremden bezeichnet. Brunkhorst differenziert Durkheims Ansatz der funktionalen Differenziertheit moderner Gesellschaften mithilfe von Talcott Parsons weiter aus. Mit Parsons entwickelt Brunkhorst das Konzept einer Solidarität unter Fremden anhand des Verhältnisses zwischen Arzt und Patient. Der Arzt ist nicht ein guter Freund; ganz im Gegenteil, gerade in seiner Distanziertheit und Professionalität gegenüber dem Patienten ist er ein guter Arzt.35 Die Gesundheitsversorgung wird in modernen, arbeitsteiligen Gesellschaften über das Gesundheitssystem, mithilfe der professionellen Berufsrolle des Arztes oder der Ärztin, organisiert. Auch der Sozialstaat insgesamt stellt demnach die Institutionalisierung von Solidarität unter Fremden dar.

3) Autoritäres Leistungsprinzip

Das Sozialstaatskonzept der Neuen Rechten zeichnet sich nicht nur durch seine Grundlegung in einem identitären Solidaritätsbegriff aus, sondern auch durch dessen Verschränkung mit einer bestimmten Deutung des Leistungsprinzips. Dieses stellt die ideologische Grundlage für das produktivistische Verständnis von Sozialstaatlichkeit dar.

Wie gezeigt, steht der solidarische Patriotismus in einem Rechtfertigungsdruck gegenüber der autoritär-liberalen Strömung innerhalb der Neuen Rechten. Kaiser geht in seiner Argumentation autoritär-liberalen Vorurteilen entgegen, indem er ihrer Kritik an einem angeblich zu ausgedehntem Sozialstaat entgegenkommt. Kaiser kritisiert die angeblich exorbitante Belastung der Menschen durch Steuern und zugleich die Unfähigkeit des aktuellen Sozialstaates, diese sprudelnden Einnahmen sinnvoll auszuschütten. Explizit meint Kaiser damit die angeblich zu vielen Hartz-IV-Leistungen für Ausländer.36 Kaiser warnt jedoch davor, dass man bei aller Kritik am aktuellen Staat nicht in einer fundamentalen Staatskritik verfallen dürfte.

Ähnlich wie bei den AutoritärLiberalen spielt bei Kaiser auch das Leistungsprinzip eine zentrale Rolle. Doch anders als beim Libertarismus ist für Kaiser der freie Markt nicht der Garant dafür, dass das Leistungsprinzip Verwirklichung findet. Eine nicht regulierte Marktwirtschaft kann dazu führen, dass fälschlicherweise verantwortungslose Spekulation als Leistung angesehen wird und nicht wirklicher Nutzen für die Gemeinschaft. „Ausrechter‘ und volksverbundener Sicht hingegen wäre es eher eine genuine Leistung, seine eigene Tätigkeit in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen, beispielsweise als Pflegerin, Feuerwehrmann oder Polizist zu arbeiten, einen handwerklichen Betrieb mit zehn Mitarbeitern am Leben zu halten oder als Landwirt der großen Konkurrenz zu trotzen und nachhaltige ökologische Produktion zu pflegen.37 Kaiser kritisiert – mit Bezug auf Sahra Wagenknecht und Alexander Rüstow – das von ihm sogenannte leistungslose Spitzeneinkommen.38

Dieses Leistungsprinzip begründet bemerkenswerterweise Kaiser in Bezug auf preußische Tugenden. „Wer also wirklich Leistungsgerechtigkeit und die Belohnung von Fleiß und Arbeitsbereitschaft herstellen möchte, muß einige der derzeitigen Wirtschaftsverhältnisse und Reichtumsmechanismen als illegitim verwerfen. Denn sie schüren weiter wachsende Vermögensungleichheiten, die weder mit dem sozialkonservativ-‚preußischen‘ Prinzip des gerecht entlohnten ‚Dienstes‘ an der Gemeinschaft noch mit dem liberalkonservativ-‚rheinischen‘ Prinzip des schaffenden und risikotragenden Unternehmertums zu rechtfertigen sind, weil sie an ihrer Spitze nicht (mehr) auf Fleiß, Leistung, Tugend, Weiterbildung usw. zurückzuführen sind.“39

Aus dem Hintergrund der an Spenglers „Preußentum und Sozialismus“ erinnernde Betonung von preußischen Tugenden, kommt Kaiser zu einer differenzierteren Definition von solidarischem Patriotismus: „Ein solidar-patriotisches Modell der Gesellschaft fördert Arbeit und ein positives Verständnis von ihr, gewichtet Leistung über Müßiggang und stellt ‚preußische‘ Vorstellungen von Dienst, Pflicht und Arbeitsbereitschaft für das große Ganze wieder in den Vordergrund.“40 An anderer Stelle spricht er von einer „solidarischen Leistungsgemeinschaft“41.

Dieses preußisch verstandene Leistungsprinzip dient Kaiser jedoch nicht nur dazu, die ungerechte Verteilung von Einkommen und Vermögen in der Gesellschaft zu kritisieren, sondern daraus folgen Ressentiments gegenüber den sozial Schwachen. Angeblich Faule und Arbeitsverweigerer sollten notfalls zur Arbeit gezwungen werden. „Die derzeit punktuell auftretende, bereits angesprochene ‚soziale Hängematte‘ ist in einem so umrissenen Denken keine Option; entsprechende Abhilfen wären ein verpflichtender Gesellschaftsdienst als erbrachte Gegenleistung zu gewährten staatlichen Hilfen.“42 Auch bei Höcke spielen preußische Tugenden eine zentrale Rolle.43

Dieses Leistungsprinzip bildet somit die ideologische Grundlage eines Populismus, der das hart arbeitende Volk gegen eine angeblich korrupte Elite abgrenzt. Das Leistungsprinzip dabei ist autoritär, da Leistung nicht als individueller Nutzen, sondern als Dienst für die Gemeinschaft verstanden wird. Somit ist auch das Leistungsprinzip ethnisch aufgeladen. Der sich daraus ableitende Populismus ist rechts, weil aus seiner Sicht nicht nur die Elite, sondern auch Migrant:innen und Arbeitsfaule keine Leistung für die nationale Gemeinschaft erbringen würden.

4) Exkludierende Sozialstaatlichkeit

Aus den beiden Grundprämissen des identitären Solidaritätsbegriffs und des autoritären Leistungsprinzips folgt eine ganz bestimmte Konzeption von Sozialstaatlichkeit die als spezifisch „rechts“ charakterisiert werden kann.

Das Sozialstaatskonzept des solidarischen Patriotismus ist durch zwei exkludierende Mechanismen charakterisiert. Weil nach dem solidarischen Patriotismus der Sozialstaat auf einer – nicht nur kulturell, sondern auch ethnisch verstandenen – Solidargemeinschaft beruht, sollen Migrant:innen aus dem sozialen Leistungsbezug ausgeschlossen werden (Sozialchauvinismus). Und weil dieses identitäre Solidaritätskonzept mit einem autoritären Leistungsprinzip verwoben ist, werden auch angeblich Arbeitsunwillige sehr restriktiv behandelt (Produktivismus). Die beiden Charaktermerkmale verbinden sich darüber hinaus und stellen eine „Kulturalisierung des Produktivismus“ dar.44 Migrant:innen gehören demnach nicht nur ethnisch nicht zur Solidargemeinschaft, sondern sie haben zusätzlich auch keine Leistungen eingebracht bzw. in die Sozialsysteme eingezahlt.

Aus rechter Perspektive ist der Sozialstaat an sich nicht nur durch diese exkludierenden Mechanismen bestimmt, sondern die Funktionsweise des Sozialstaates steht in einem größeren Zweck-Mittel-Zusammenhang. Gemeint damit ist, dass der spezifische Aufbau des Sozialstaates in Deutschland Wirkungen entfaltet. Zum einen der angebliche Pull-Effekt, der ein Anreiz für Migration nach Deutschland darstellt. Und zum anderen ein angeblicher Anreiz, dass sich Menschen eher für Bürgergeld als für Arbeit entscheiden würden.

Kaiser folgt dem Vorurteil, dass angeblich zu viel Geld über Hartz-IV-Leistungen an Ausländer ausgegeben werden würde. Daraus folgen, so die Behauptung von Kaiser, ohne es zu begründen, sogenannte Pull-Faktoren, die Migration nach Deutschland anregen würden.45 Mit Bezug auf Rolf Peter Sieferle betont Kaiser, dass der Sozialstaat ein „Club mit definierter Mitgliedschaft“ sein müsse.46 Ein funktionsfähiger Sozialstaat müsse nach Kaiser die Einwanderung begrenzen. „Masseneinwanderung und Sozialstaat sind auf Dauer unvereinbar; die Befürwortung einer relativen ethnischen Homogenität und die Absage an forcierte Zuwanderung ergeben sich als logische Folgen.“47

Auch Maximilian Krah behauptet, dass der Sozialstaat zu viel für Ausländer ausgeben würde. Ohne es empirisch zu belegen, behauptet Krah, dass der Anteil der Ausländer an der Grundsicherung bei 50 % liegen würde.48 Dies habe zur Folge, dass Pull-Faktoren entstünden. „Der Sozialstaat belastet überproportional die deutsche Arbeitsbevölkerung und dient deutlich überproportional Einwanderern. Damit wirkt er als Einwanderungsmagnet.“49 Für Krah stellt der Sozialstaat nicht nur einen Wert an sich dar, sondern spielt eine zentrale Rolle in einer von ihm geforderten Migrationspolitik, in deren Zusammenhang Krah den Begriff Remigration benutzt: „Die Remigration der nicht Integrationswilligen und -fähigen kann nur in großer Zahl gelingen, wenn sie kooperieren. Hierzu müssen die richtigen Anreize gesetzt werden. Ökonomisch muß der Sozialstaat so umgebaut werden, daß er zielgenau die tatsächlich Bedürftigen schützt, aber nicht zur Hängematte Leistungsscheuer wird.50

Nach Krah soll der Sozialstaat grundlegend umgebaut51 und radikal eingeschränkt werden, indem Migrant:innen und angeblich Arbeitsscheue von sozialstaatlichen Leistungen ausgeschlossen werden. Aber Krah will den Sozialstaat nicht komplett abschaffen, sondern folgt den Grundüberlegungen des solidarischen Patriotismus. Gegen die autoritär-liberale Richtung betont Krah: „Die politische Rechte darf nicht unsozial sein, der Ausgleich von Lebenschancen, Teilhabe und Lebensrisiken ist ein rechtes Anliegen.“52

Und auch Björn Höcke bringt seine Grundgedanken zu einer exkludierenden Sozialstaatlichkeit zum Ausdruck, wenn er schreibt: „Die soziale Frage der Gegenwart ist nicht primär die Verteilung des Volksvermögens von oben nach unten, unten nach oben, jung nach alt oder alt nach jung. Die neue deutsche Soziale Frage des 21. Jahrhunderts ist die Frage nach der Verteilung des Volksvermögens von innen nach außen.“53

5) Fazit

Der solidarische Patriotismus ist das Schlagwort für den sozialpolitischen Ansatz, der von der völkisch national-sozialen Richtung der Neuen Rechten vertreten wird. Der solidarische Patriotismus und dessen Sozialstaatskonzeption ist durch Sozialchauvinismus und Produktivismus geprägt. Diese Charakteristika erfahren ihre Rechtfertigung durch die Annahme einer kulturell und ethnisch homogenen Solidargemeinschaft und eines autoritären Leistungsprinzips. Es wurde kritisch aufgezeigt, dass dabei der dem zugrundeliegenden Ethnopluralismus als pseudowissenschaftlich zu bewerten ist und dass es Alternativen zu einem identitären Solidaritätsbegriff gibt.

Aus diesen Grundsätzen folgt ein Konzept einer exkludierenden Sozialstaatlichkeit. Aus dem Sozialstaat sollen Menschen, die nicht zur ethnisch verstandenen Solidargemeinschaft gehören, ausgeschlossen werden (Sozialchauvinismus). Und auch Menschen, die in die Sozialsysteme nicht eingezahlt haben (Migrant:innen) und welche, die Leistung verweigern (soziale Hängematte), sollen ausgeschlossen werden (Produktivismus).

Außerdem wird der Sozialstaat von rechts aus der Perspektive der Migrationspolitik betrachtet und die konkreten sozialstaatlichen Leistungen danach bewertet, ob sie Effekte auf die Einwanderung nach Deutschland oder auf die Leistungsbereitschaft der Bevölkerung haben.

Trotz der starken Bewertung der sozialen Frage und der kapitalismuskritischen Rhetorik der Vertreter des solidarischen Patriotismus kommen sie der autoritär-liberalen Richtung innerhalb der Neuen Richtung entgegen, da sie für einen schlanken Sozialstaat werben. Trotz der explizit hervorgehobenen Abgrenzung zum autoritären Liberalismus teilt der solidarische Patriotismus doch einige Prämissen mit diesem.

Literatur

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  • Becker, Andrea/ Eberhardt, Simon/ Kellershohn (Hg.) (2019): Zwischen Neoliberalismus und völkischem ‚Antikapitalismus‘, Münster.
  • Brunkhorst, Hauke (1997): Solidarität unter Fremden, Frankfurt a.M.
  • Chueri, Juliana (2022): An emerging populist welfare paradigm? How populist radical right-wing parties are reshaping the welfare state, in: Scandinavian Political Studies 45, 383-409.
  • Die Kehre 15/2023.
  • Höcke, Björn (2019): Nie zweimal in denselben Fluss, Lüdinghausen/ Berlin.
  • Kaiser, Benedikt (2017): Querfront, Schnellroda.
  • Kaiser, Benedikt (2020): Solidarischer Patriotismus. Die soziale Frage von rechts, Schnellroda
  • Krah, Maximilian (2023): Politik von rechts. Ein Manifest, Schnellroda.
  • Lichtmesz, Martin (2020): Ethnopluralismus, Schnellroda.
  • Pühringer, Stephan/ Beyer, Karl M./ Kronberger, Dominik (Hg.) (2021): Soziale Rhetorik, neoliberale Praxis. Eine Analyse der Wirtschafts- und Sozialpolitik der AfD, OBS-Arbeitspapier 52, Frankfurt a.M.: Otto-Brenner-Stiftung.
  • Sesín, Claus-Peter (2012): Sarrazins dubiose US-Quellen, in: Haller, Michael (Hg.): Mythos vom Niedergang der Intelligenz. Von Galton zu Sarrazin. Die Denkmuster und Denkfehler der Eugenik, Wiesbaden, 27-48.
  • Sezession 98 (2020).
  • Veiglhuber, Wolfgang/ Weber, Klaus (Hg.) (2022), Höcke I – Deutsche Arbeit & preußischer Staat, Hamburg.

Martin Hauff, Dr. des., arbeitet am Lehrstuhl Politische Ökonomie und Wirtschaftssoziologie an der Goethe Universität Frankfurt

1 Vgl. Pühringer / Beyer / Kronberger 2020.

2 Vgl. Becker / Eberhardt / Kellershohn 2019.

3 Vgl. Diss-Journal Sonderheft 6, April 2023.

4 Vgl. Abt et al. 2020.

5 Chueri, Juliana 2022.

6 Vgl. Höcke, Björn 2019, 246.

7 Ebd., 249.

8 Vgl. Veiglhuber / Weber 2022, 48f.

9 Krah, Maximilian 2023, 157.

10 Krah 2023, 154.

11 Krah 2023, 136.

12 Kaiser, Benedikt 2020, 25.

13 Vgl. ebd., 23ff.

14 Vgl. ebd., 235.

15 Ebd. (Hervorh. im Original).

16 Vgl. ebd., 256f.

17 Vgl. Kaiser 2017.

18 Ebd., 10.

19 Vgl. ebd., 218.

20 Krah 2023, 162.

21 Kaiser 2020, 198.

22 Vgl. Sezession 98, 28

23 Vgl. Bayertz 2002, 11ff.

24 Vgl. Sezession 98, 30.

25 Vgl. Sezession 98, 33.

26 Vgl. Bayertz 2002, 29ff.

27 Vgl. Sezession 98, 31.

28 Vgl. Lichtmesz 2020, 171ff.

29 Vgl. Die Kehre 15/2023.

30 Vgl. Sesín 2012.

31 Vgl. ebd., 28.

32 Krah 2023, 54.

33 Kaiser 2020, 265.

34 Vgl. Bayertz 2002, 26f.

35 Vgl. Brunkhorst 1997.

36 Vgl. Kaiser 2020, 39.

37 Kaiser 2020, 34f.

38 Vgl. ebd., 158.

39 Ebd., 162.

40 Ebd., 139f.

41 Ebd., 236.

42 Ebd., 140.

43 Vgl. Veiglhuber / Weber 2023, 78ff.

44 Abts et al. 2020, 23.

45 Vgl. Kaiser 2020, 39.

46 Ebd., 266.

47 Ebd.

48 Krah 2023, 154.

49 Ebd.

50 Ebd., 60.

51 Ebd., 155.

52 Ebd., 154.

53 Zitiert nach Veiglhuber / Weber 2022, 9.