Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung


 

Siegfried Jäger (DISS)

„Rasse“ und aktuelle Ersatzbegriffe in der deutschen Gegenwarts-Gesellschaft

Vortrag auf dem Workshop „Rasse“. Historische und diskursive Perspektiven im Zentrum für Literaturforschung der HU vom 4.-6.-11.2005

 

Das Wort „Rasse“ taucht in deutschen Diskursen zur Charakterisierung von Menschengruppen in der Gegenwart nicht mehr oder nur noch sehr selten auf. In einer Fülle von Projekten, die wir seit Mitte der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts durchgeführt haben, haben wir dieses Wort kaum einmal gefunden.

Das gilt sowohl für den Politikerdiskurs wie für den Diskurs der Medien und des Alltags.

Die französische Rassismusforscherin Collette Guillaumin konstatierte denn in ihrem Vortrag auf dem Hamburger Kongress „Rassismus und Migration in Europa“ im Jahre 1990 auch lakonisch: Rasse ist „ein Wort ..., mit dem es ganz offensichtlich zu Ende geht.“ (Guillaumin, S. 77)

Dazu gibt es allerdings mindesten zwei hochinteressante Ausnahmen. Die erste ist der juristische Diskurs, insbesondere Grundgesetz Art. 3, und die zweite ist das Internet. Auf diese beiden Ausnahmen werde ich noch ausführlich zu sprechen kommen.

Das Wort „Rasse“ scheint insgesamt gesehen tabuisiert zu sein, wegzensiert, weil historisch zu belastet und wird oft als unanständig empfunden.

Was für das Wort gilt, gilt jedoch nicht für den Begriff bzw. die Bedeutung des Wortes. Diese überlebt in einer ganzen Anzahl von Verkleidungen, so etwa in Ethnie, Kulturkreis, Mentalität, Abstammung oder Volk, teilweise, das heißt zumindest mit einigen ihrer semantischen Elemente, aber auch in Bezeichnungen wie Pakistaner, West-Indier.

Ohne den Ausdruck „Rasse“ zu verwenden, stellen sie begriffliche Quasi-Äquivalente desselben dar. Auch in Bezeichnungen wie Türken, Deutsche, Asylant usw. fließen solche semantischen Elemente ein, insofern sich damit Vorstellungen von Homogenität und gleicher Abstammung verbinden. Die „ideologische Ladung“ der Charakterisierung der „Fremden“ kann also gut auf den Terminus „Rasse“ verzichten und wird in andere Wörter hineingetragen.

Wir haben es hier mit einem allgemeinen Charakteristikum des Sprach- und Bedeutungswandels zu tun. Besonders negativ aufgeladene Wörter werden durch andere ersetzt, die sich dann aber oft nach kurzer Zeit, wenn auch sie in diskriminierenden Kontexten verwendet werden, ebenfalls negativ aufladen und in aller Regel die ursprünglichen Bedeutungen wieder an sich ziehen.

Es bringt also nichts Positives, „Rasse“ durch einen anderen Terminus zu ersetzen. So hat die Ersetzung des Wortes „Asylant“ durch „Asylbewerber“ nichts gebracht, weil „Asylbewerber“ alsbald ebenso negativ besetzt wurde wie „Asylant“. Es geht also darum, den Begriff zu dekonstruieren, und das heißt nichts anderes, als die Deutung eines gesellschaftlichen Sachverhalts grundsätzlich zu verändern. Das ist die wichtigste Voraussetzung dafür, Rassismus einzudämmen.

Zunächst daher auch einige Bemerkungen zum Begriff bzw. zur Bedeutung des Wortes „Rasse“:

Um die noch gebräuchliche Kernbedeutung des Wortes „Rasse“, die der Duden aktuell als „Menschentypus“ umschreibt, gruppiert sich ein Komplex von Elementen heterogenster Art und Herkunft: Es finden sich morpho-physiologische Merkmale, soziologische Merkmale, symbolische und geistige Merkmale, sowie phantasmatische Merkmale.

- Als morpho-physiologische Merkmale tauchen die verschiedensten körperlichen Merkmale auf.

- Soziologische Merkmale sind etwa eine Sprache und auch bestimmte Sitten und Gebräuche;

- symbolische und geistige Merkmale sind gewisse Einstellungen und Haltungen, Lebensauffassungen, Religionen und Kulte;

- phantasmatische Merkmale sind bestimmte, oft völlig willkürliche Zuschreibungen zu Fakten, Ereignissen, Praktiken, die durchaus, aber nicht notwendigerweise real sein können, aber Objekte wahnhafter Interpretation sind.[1]

Es liegt hier ein absolut synkretistisches Ensemble von Zuschreibungen vor, zwischen denen allerdings immer wieder auch Kausalitätsbeziehungen imaginiert werden. So werden körperliche Merkmale nicht selten mit kulturellen verknüpft, etwa wenn schwarze Haut bzw. Schwarzsein mit geringerer Intelligenz verkoppelt wird. Das ist vor allem deshalb möglich, wie unlogisch und sogar wenig plausibel solche Kausalitätsbeziehungen auch sein mögen, weil das Vorhandensein menschlicher „Rassen“ schlicht als Evidenz betrachtet wird – bis in die Wissenschaften hinein, wie dies aktuell das soeben erschienene Buch des amerikanischen Anthropologen Vincent Sarich von der Elite-Universität Berkeley zeigt, das er zusammen mit dem Wissenschaftsjournalisten Frank Miele verfasst hat. Es trägt den Titel „Race. The Reality of Human Difference“.[2] Hier wird die Ansicht vertreten, dass “Menschenrassen” kein Hirngespinst, sondern Wirklichkeit sind.

Der Begriff „Rasse“ im Alltag

Für solche synkretistischen Ensembles gebe ich hier zunächst nur einige Beispiele aus unseren Alltagsinterviews mit Bürgerinnen und Bürgern aus Deutschland.[3]

Zu sog. „Asylanten“ heißt es in einem der Alltagsinterviews etwa:

Da „gibt es ja hunderttausend verschiedene Sorten, die wir hier mittlerweile haben, nee? Alles, alles, dat kann man gut auseinanderhalten.“ (1. Staffel, 17/515-517)

Hier steht ein morpo-physiologisches Merkmal im Vordergrund, durch das man die verschiedenen „Sorten“ auseinanderhalten kann.

Im folgenden Zitat handelt es sich um ein soziologisches Merkmal:

„Und die essen ja auch nicht alles, sind ja Ausländer. Sind ja was anderes gewöhnt, wie wir.“ 1. Staffel, 13/680ff.)

Auf bestimmte geistige Unterschiede bezieht sich der folgende Interviewte:

Gefragt wurde:

„Aber woran liegt das denn, dass die da meinetwegen in Afrika oder wat weiß ich eh so arm sind?... Viele Kinder verhungern da.“

Die Antwort lautet: „Dat is ja schon so lange, wie die Welt besteht. Die waren arm, und die werden von sich aus da nich mehr rauskommen. Is ja ne ganz andere Mentalität. Die sind ja nich so arbeitsfreudig wie wir, dat die dat von sich aus e bissel hochbringen. ... wie gesach, Mentalität. Die sind einfach zu träge.“ (1. Staffel, 3/881ff.)

Klingen hier bereits Wahnelemente mit an, so erst recht in folgender Aussage:

„... die haben die Kopftücher abgemacht, und das wimmelte von Läusen.“ (1. Staffel, 3/218f.)

Charakteristisch für solche Beispiele ist auch, dass biologische bzw. zoologische Begründungen neben solchen stehen, die sich auf kulturelles Anderssein von Einwanderern berufen.

So entsteht der Eindruck, dass Einwanderer mit Zuschreibungen ausgegrenzt werden, deren Herkunft geradezu als beliebig anzusehen ist. Hauptsache scheint: Man findet irgendwelche Argumente, sie auszugrenzen!

Was hier anhand einiger Beispiele aus dem Alltagsdiskurs illustriert wurde, findet sich entsprechend auch in Politiker- und Mediendiskursen, worauf ich hier nur verweisen möchte.[4]

Wird so durchgängig auf den Terminus „Rasse“ verzichtet, ist seine ursprüngliche Bedeutung jedoch erhalten, wenn auch in all ihrer Heterogenität.

In einer neuen Interview-Staffel aus den Jahren 2003/2004, die wir gerade analysieren, scheint ein offener Rassismus demgegenüber etwas abgeschwächt zu sein, ohne dass er völlig verschwunden wäre. Die Kampagnen gegen Rassismus der letzten Jahre scheinen nicht völlig nutzlos gewesen zu sein. Offensichtlich hat eine gewisse Dekonstruktion bereits stattgefunden.

Nun zu den Ausnahmen. Sie finden sich massiv im juristischen Diskurs, aber zunehmend auch in Internet-Foren und –Enzyklopädien.

„Rasse“ ist ein juristischer Begriff und deshalb geeignet, Rassismus zu legitimieren

Das Wort und der Begriff „Rasse“ sind im juristischen Diskurs sehr verbreitet anzutreffen. Dieser Diskurs legitimiert geradezu seine Anwendung in Politik, Medien und Alltag und fungiert so als eine Art autoritativer Leitdiskurs. Der „Rasse“-Begriff stellt juristisch gesehen eine legale Definition dar, die durch Gesetz und Rechtsnormen vorgegeben ist. Er schließt jedoch an die populare Vorstellung der nationalen Einheit an, die Vorstellung eines homogenen Ganzen unter den Gesichtspunkt des genetischen Erbes (vgl. Guillaumin, S. 85). Immer noch liegt dieser Ausdruck auch „ausdrücklich oder unausdrücklich der modernen Idee der Nation zugrunde.“ (Guillaumin, S. 81)

Ich verweise dazu auf Art. 3.3. unserer Verfassung, wo es heißt,

dass niemand „wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden“ darf.

Doch auch andernorts taucht das Wort „Rasse“ mit großer Selbstverständlichkeit auf, insbesondere in Texten, die mit dem EU-Antidiskriminierungsgesetz zu tun haben, was einer neuen Legitimierung dieses Begriffs gleichkommt.[5] So heißt es z.B. im neuen sog. „Gesetz zur Begrenzung und Steuerung der Zuwanderung“, auch als „Zuwanderungsbegrenzungsgesetz“ bekannt und das Anfang diesen Jahres verabschiedet wurde, in § 60:

Es „... darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner Überzeugung bedroht ist.“

Auch in einer Vielzahl von sonstigen Richtlinien und Verlautbarungen in Verbindung mit Ausländerrecht und Ausländerangelegenheiten taucht immer wieder der Ausdruck „Rasse“ auf, so z.B. in der Antirassismusrichtlinie 2000/43/EG, wo dieses Wort auch ständig mit dem Begriff „ethnische Herkunft“ gekoppelt auftritt.

Das Auftreten von Rasse – immer ohne Gänsefüßchen – im juristischen Diskurs bis hinein in die Gesetzestexte ist besonders fatal, da damit dem Begriff der „Rasse“ eine besondere Weihe beikommt, durch die die Legitimität von Rassismus gerechtfertigt werden kann und auch gerechtfertigt wird. Diese Tatsache stellt sich somit als ein besonderer Hemmschuh für die Dekonstruktion des „Rasse“-Konzepts dar.

Nun zum Internet:

Die zweite Ausnahme, das Internet, beteiligt sich zunehmend an der Etablierung öffentlicher Diskurse bis hinein in die Mediendiskurse. Daher dürfte ein Blick in elektronische Enzyklopädien und Foren nicht uninteressant sein.[6]

In einer Diskussion zum Thema „Rasse“, die 2004 bis September 2005 in der Internet-Enzyklopädie Wikipedia über 28 Druckseiten sehr kontrovers geführt worden ist, taucht das Wort „Rasse“ (ohne Gänsefüßchen) nicht nur immer wieder auf – seine Bedeutung ist zudem oftmals biologistisch konturiert, wogegen sich natürlich auch heftiger Widerspruch und beißende Kritik geltend macht.[7] Daneben finden sich auch alle Ersatzbegriffe, wie sie auch auf sonstigen Diskursebenen anzutreffen sind, worauf ich hier nur verweisen kann. Interessant ist hier aber vor allem, dass das Wort „Rasse“ im Unterschied zu anderen Diskursebenen ohne Probleme Anwendung findet.

In einem Beitrag wird das Argument der meisten Genetiker, dass es keinen wissenschaftlichen Grund dafür gebe, von menschlichen „Rassen“ zu sprechen, folgendermaßen zurückgewiesen:

„Allerdings – wenn ich meine Augen aufmache – sehe ich doch genau die drei typischen äußeren Erscheinungsformen der Menschen im fernöstlichen Raum, in Zentralafrika oder in Europa. Und spontan (ohne fremden Einfluß) wird nie ein Kind in Nord-Norwegen geboren werden mit schwarzer Hautfarbe oder mit Schlitzaugen. Wie sollten da Zweifel angebracht sein, dass es sich hier um drei Rassen handelt?“

Der Autor beruft sich hier auf Evidenz: Man sieht es doch.

Ein anderer schreibt:

Das (sic!) dieser Begriff politisch verfärbt ist, da können wir Bios nix für. Fakt ist aber auch, dass etwa das Merkmal Hautfarbe etwa ein Rassenmerkmal ist.“ In der Fortsetzung schränkt der Schreiber dies wie folgt ein:

„Fakt ist aber auch, dass darin keine Wertung intellektueller oder sonstiger Fähigkeiten drinsteckt.“

Verunsicherung zeigt auch die folgende Bemerkung:

„Ich bin in diesem Fall nicht politisch motiviert, mir geht es einfach um die biologischen Fakten. Und demnach ist der Begriff Rasse sinnvoll definiert und sollte auch im biologischen Sinne angewendet werden, auch auf Menschen.“

Um den biologistischen „Rasse“-Begriff zu retten, beruft sich ein Diskussionsteilnehmer auf den SPIEGEL, wenn er schreibt:

„Der SPIEGEL hat in Ausgabe 17/2004 über Mediziner berichtet (unter anderem eine Vereinigung schwarzer amerikanischer Herzspezialisten), die die Wiedereinführung des Rassebegriffs in die Medizin fordern, da mittlerweile deutliche Unterschiede z.B. bei Medikamentenwirkungen zwischen verschiedenen Rassen nachgewiesen sind, die es erforderlich machen, die empfohlene Dosis abhängig von der Rasse zu variieren. Es existieren auch unzählige weitere Beweise für Rassenunterschiede, z.B. aus der Verhaltensforschung und mittlerweile erste Ergebnisse der Genforschung.“[8]

Das erinnert an die entsprechende Intelligenz-Forschung, bei der man die Variable der sozialen Herkunft ebenfalls unterschlagen hatte (Arthur Jensen).

Weitere Einträge sind:

„Die Aufteilung der Menschheit in Rassen steht biologisch außer Frage.“

„Rasse“ kommt auch als Element eines positiven Rassismus vor, wenn es z.B. heißt:

„Ist es nur ein von mir gehegtes Vorurteil oder stimmt es wirklich, daß ein durchschnittlicher Neger im Sport ausdauernder ist als ein durchschnittlicher Weißer?“

Auf einer anderen Seite, in politikforen.de, wird ein Artikel von Karl Richter veröffentlicht, der ursprünglich in der rechtsextremen Zeitschrift „Nation & Europa“ erschienen ist,. Sein Titel:“Gen-Forschung widerlegt linken Gleichheitswahn“[9]. Ein Satz daraus möge genügen:

„Nicht nur die Individuen unterscheiden sich durch ihren genetischen Code, sondern auch ethnische Gruppen – etwas, das das es nach Ansicht politisch korrekter Gutmenschen überhaupt nicht gibt.“

Die Diktion offenbart bereits die rechte Gesinnung des Artikelschreibers, und es wundert denn auch nicht, dass er die volle Rehabilitation des „Rasse“-Begriffs einfordert.[10] Dieser Artikel wird auf diesem offenen politischen Forum ernsthaft diskutiert, auch wenn Richter in einigen Repliken als Rechtsextremist bezeichnet wird.- Es gibt allerdings auch zustimmende Reaktionen auf diesen Artikel, wenn es etwa heißt:

„und der angebliche >Beweis<, daß es keine Rassen gibt, hat mich alles andere als überzeugt und widerspricht schon meinem gesunden Menschenverstand.“.

Trotz erheblichen Widerspruchs gegen solche „Argumente“ wird sichtbar, dass das Wort „Rasse“ und der biologistische „Rasse“-Begriff keineswegs aus dem öffentlichen Diskurs verschwunden ist. Im Internet mag er jedoch leichter verwendet und verteidigt werden, da seine Anonymität dazu einlädt, seine Ansichten offener zu zelebrieren als dies in alltäglichen Diskursen opportun erscheint. Zwar gibt es auf solchen Seiten gewisse Filter und Korrekturmöglichkeiten. Diese schützen aber offensichtlich nicht ausreichend vor der Verbreitung rechtsextremer Inhalte.

Zu erkennen ist an der Langlebigkeit der „Rasse“-Kategorie auch generell, dass Diskurse, in denen immer „Wissen“ und „Unfug“ transportiert werden, nicht einfach abbrechen, sondern über lange Zeit stabil sein können und/oder lange schlimmen Wissensmüll mit sich fortschleppen. [11]

„Rasse“ als wissenschaftlicher Begriff?

Nun steht auch die Frage an, ob „Rasse“ als kritischer Analysebegriff und als Wissenskategorie zu retten sei. Ich möchte das abschließend kurz anhand des Rassismusbegriffs diskutieren, der ja oftmals bzw. in aller Regel mit der Kategorie „Rasse“ operiert. So versteht man in der Rassismusforschung Rassismus sehr verbreitet als ein dreigliederiges Konzept, das folgendermaßen zusammengesetzt ist:

Rassismus liege dann vor, wenn

1. eine Person oder soziale Gruppe als „Rasse“ konstruiert werde, was sowohl mit biologistischen oder kulturalistischen Argumenten unterfüttert werde.

Dieses Konstrukt werden 2. negativ (oder auch positiv) bewertet,

und diese Bewertung erfolge 3. aus der Position der Macht heraus vorgenommen, die entweder durch Mehrheit oder materielle Gegebenheiten zustandekomme oder – eine wichtige Variante – die dann schon im Spiel sei, wenn sie in öffentlichen Diskursen vorliege.[12]

An dieser Begriffsbestimmung wird deutlich, dass der Begriff „Rasse“ selbst bereits in kritischer Absicht verwendet wird, also derart, dass sich eine Legitimation von Rassismus durch den Verweis auf das Gegebensein von menschlichen Rassen verbietet. dieser wissenschaftliche Rassismus-Begriff versucht, den biologistisch-kulturalistischen „Rasse“-Begriff zu dekonstruieren, indem er ihn als fiktiv und zugleich als diskriminierend definiert. Denn nur der Rassismus selbst benötigt den Begriff „Rasse“.

Und hier geraten wir auf das schwierige Terrain der Gültigkeit und Verlässlichkeit wissenschaftlicher Begriffsbildung überhaupt, nämlich zu der Frage, ob wissenschaftliche Begriffe einen Wahrheitswert beanspruchen können.

Diese Frage wird sowohl bejaht wie verneint. Objektive und damit ewig gültige Wahrheiten der Begriffe werden zwar insbesondere in den Geistes- und Gesellschaftswissenschaften kaum noch postuliert, und spätestens seit Max Weber und erst recht seit den Arbeiten von Michel Foucault arbeitet man allenfalls mit der Annahme zeitweilig gültiger Wahrheiten in den Begriffen, wobei Max Weber Zuflucht zu sogenannten Idealtypen nimmt, also zu „Konstruktionen“, „welche unserer Phantasie als zulänglich motiviert ... erscheinen“ (Weber 1985, S. 192), während etwa Michel Foucault auf in den wissenschaftlichen Spezialdiskursen jeweils gültige Begriffe abstellt.(Foucault 1978, S. 53)

Foucault geht davon aus, dass es immer nur jeweils und zeitweilig gültige Wahrheiten und damit auch Begriffe gibt, die zudem immer umkämpft sind.[13] Objektivität und damit so etwas wie immer gültige Wahrheit liegt dabei für ihn letzten Endes in ethischen Annahmen, - mir scheint, etwa in den Essentials der universellen Menschenrechte und demokratischer Verfassungen. Beiden Autoren ist gemein, dass die praktische Wirksamkeit solcher Konstruktionen keinesfalls geleugnet wird. Wissenschaftliche Begriffe bestimmen praktische politisches Verhalten bzw. durchaus längere gesellschaftliche Entwicklungen zumindest teilweise mit. Foucault definiert Rassismus, der übrigens bei ihm sehr weit gefasst ist, indem er diesem Begriff alle Formen von Diskriminierung subsumiert, als ethisch nicht vertretbar. „Rasse“ ist für ihn ein unethischer Begriff. Solange dieser Begriff im Gebrauch ist, zeitigt er danach inhumane Folgen oder trägt doch dazu bei. Dieser unethische Begriff dient jedoch in den Sozialwissenschaften dazu, Rassismus generell als unethisch zu charakterisieren, indem dieser sich bewertend auf den unethischen „Rasse“-Begriff beruft.

Erst im Rahmen eines Rassismusbegriffs zeigt der unethische „Rasse“-Begriff seine Funktionalität. Insofern ist er als Wissenskategorie von Nutzen. Seine Qualität als unethischer Begriff enthält aber zugleich die Aufforderung, ihn zu dekonstruieren. Dies geschieht in den Wissenschaften bereits prozessierend, indem er als wesentliche Stütze eines inhumanen und unethischen Rassismusbegriffs gekennzeichnet wird.

Für die Alltagsverwendung hat der „Rasse“-Begriff trotz seiner Qualität als Fiktion und Mythos immer noch eine verheerende Funktion, insofern er die Ausgrenzung von Einwanderern und Menschen aus oder in fremden Ländern zu legitimieren geeignet scheint und vielfach auch legitimiert.

Weil das Wort „Rasse“ und der damit einhergehende Begriff menschlicher „Rassen“, der – wie gesagt - auch in verschiedensten anderen Verkleidungen auftreten kann, geeignet ist, Rassismus zu legitimieren, schlage ich auch vor, zu seiner Dekonstruktion dadurch beizutragen, dass wir in Kooperation mit NGOs wie Pro Asyl, Amnesty International und anderen sowie Medienvertretern, Künstlern, Leuten aus den Sozial- und Geisteswissenschaften, vielleicht auch aus den Bio-Wissenschaften eine Initiative ins Leben rufen, die sich gegen die Verwendung des „Rasse“-Begriffs in all seinen Spielarten ausspricht und dies mit Nachdruck in der Öffentlichkeit umzusetzen versucht. Die wichtigste, wenn auch schwierigste Stoßrichtung müsste dabei dem juristischen Diskurs gelten.

 

Literatur

Foucault, Michel (1992): Was ist Kritik, Berlin (Merve)

Foucault, Michel (1978): Wahrheit und Macht, in: ders.: Dispositive der Macht, Berlin (Merve), S. 21-54

Foucault, Michel (2005): Die Sorge um die Wahrheit, in: ders.: Dits et Ecrits. Schriften, Frankfurt/m. (Suhrkamp), S. 823-836

Fraas, Claudia/Klemm, Michael (Hg.): Mediendiskurse. Bestandsaufnahme und Perspektive, Frankfurt/M. (Lang) 2005

Fraas, Claudia (2005): Diskurse on- und offline. In: Fraas/Klemm (Hg.) (2005), S. 83-103

Guillaumin, Collette (1992): Zur Bedeutung des Begriffs „Rasse“. In. Rassismus und Migration in Europa. Beiträge des Kongresses „Migration und Rassismus in Europa“, Hamburg, 26.bis 30.September 1990, Hamburg (Argument)

Jäger, Siegfried (1992): BrandSätze. Rassismus im Alltag, Duisburg (DISS)

Jäger, Siegfried/Kretschmer, Dirk/Cleve, Gabriele u.a. (1998): Der Spuk ist nicht vorbei. Völkisch-nationalistische Ideologeme im öffentlichen Diskurs der Gegenwart, Duisburg (DISS)

Jäger, Siegfried (2004): Kritische Diskursanalyse. Eine Einführung, 4. Aufl., Münster (Unrast)

Memmi, Albert (1987): Rassismus, Frankfurt/M. (Athenäum)

Miele, Frank/Sarich, Vincent (2005): Race. The Reality of Human Difference, Westview-Print

Miles, Robert (1991): Rassismus. Einführung in die Geschichte und Theorie eines Begriffs, Hamburg (Argument)

Wagner, Franc (2005): Intermedialität im Internet als Diskurs? In: Fraas/Klemm (Hg.) 2005, S. 104-122

Weber, Max (1985): Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, 6. Aufl., hg. von Johannes Winckelmann, Tübingen


 

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[1] Nach Guillaumin 1992, S. 83.

[2] Es wurde – leicht kritisch – am 11.10.2005 in der 3SAT-Sendung „Kulturzeit“ vorgestellt. Sarich/Miele greifen –neben anderen fragwürdigen Forschungsergebnissen - auch die uralte Intelligenz-Debatte wieder auf, in der unter Außerachtlassung der Beachtung der sozialen Situation der Getesteten behauptet wurde, dass durchschnittliche weiße Amerikaner einen Wert von 100 erreichen, schwarze durchschnittliche Amerikaner aber nur 85.

[3] Entnommen aus Jäger 1992.

[4] Vgl. dazu auch Jäger/Kretschmer/Cleve u.a. 1998.

[5] Vgl. dazu die Resolution von diversity hamburg vom 1.7.2004, die sich an hochrangige Politiker richtete. Diversity hamburg ist ein Xenos-Projekt beim Verband Kinder- und Jugendarbeit Hamburg e.V., Amandastr. 60, 20357 Hamburg.

[6] Vgl. dazu Fraas/Klemm (Hg.) 2005 und darin besonders Fraas und Wagner.

[7] http://de.wikipedia.org/wiki/Diskussion:Rasse

[8] Ähnlich argumentieren auch Miele/Sarich 2005.

[9] http://www.politikforen.de/archive/index.php/t-10618.html. Erschienen zuerst in Nation&Europa 6/2004.

[10] Zur Person Richters und seiner rechten Karriere vgl. http://lexikon.idgr.de/r/r_richter-karl.php

[11] Zu Diskurstheorie und Diskursanalyse, wie wir sie, orientiert an Michel Foucault, vertreten und anwenden, vgl. Jäger 2004.

[12] So in diskurstheoretisch fundierten Analysen des Einwanderungsdiskurses, wie sie im Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung durchgeführt werden. Sie stützen sich dabei auf die bei Michel Foucault zu beobachtende Verbindung von Diskurs und Macht.

[13] Vgl. dazu  Foucault 2005, S. 823ff.

 

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